heimatzunft | heimatpfleger


Der Kürbis in Nachbars Garten und das Skelett an der Tür

Auch bei uns wird jetzt Halloween gefeiert – das irisch-heidnische Fest ist in den USA zu einer Art Zwischenkarneval geworden

Haben Sie schon kleine Überraschungen für Halloween besorgt? Das wird seit einigen Wochen gefragt, wer die Auslage eines berühmten Münchner Süßwarengeschäfts betrachtet. Wer noch nicht hat, kann sich dort eindecken: mit Marzipankürbissen, aus denen Skelette klettern, mit Gruselgestalten aus Fondant, mit Spinnenkeksen, Würmern in Aspik oder glasierten Totenköpfen. Der Süßwarenhändler ist längst nicht der Einzige, der zur Belebung seines Geschäfts ein Fest propagiert, das noch bis vor einigen Jahren hauptsächlich mit Amerika in Verbindung gebracht werden konnte.
Halloween, die " Nacht des Schreckens" am Vorabend von Allerheiligen, findet immer mehr Freunde in Europa. Kaum ein Nachbargarten kommt mehr ohne Kürbisschmuck aus, kaum ein Dorf bleibt ohne Anschluss an irgendeinen "Halloween-Train" mit Garantie auf ein Grusel-Event. Rund dreißig Millionen Euro, so schätzt man, werden in diesem Jahr wieder für Scherzartikel, Kostüme und kleine Überraschungen rund um das Thema umgesetzt werden, Tendenz steigend.
Vor allem die Spielwarenindustrie gehört deshalb zu den größten Förderern des hier zu Lande relativ jungen herbstlichen Brauchs. Kindergärten, Schulen, das Jugendherbergswerk, Gastronomiebetriebe, Freizeitparks, Fernsehstationen und die Popindustrie trommeln fleißig mit: Von Anfang Oktober an werden Kürbisse ausgehöhlt, Masken bemalt, Wochenenden des Grauens zelebriert, Gruseldinners angeboten und Gespensterpartys veranstaltet. Halloween ist längst kein Kinderspaß mehr, sondern ein häufig makabres Vergnügungsangebot für alle Altersgruppen. Was aber zum Teufel wird da so eifrig gefeiert? Darüber hat sich gerade der Volkskundler Markus Dewald in seinem Buch "Kelten, Kürbis, Kulte" (Thorbecke Verlag, 9,95 Euro) Gedanken gemacht. Den populären Vorstellungen, Halloween sei ein Nachfolger des keltischen Samhain und damit ein neuheidnischer Brauch zur Feier der Mächte der Dunkelheit und zum Gedenken der Seelen der Verstorbenen, begegnet er mit den detaillierten Einwänden des Wissenschaftlers. Schließlich, so Dewald, haben katholische Iren das Fest im 19. Jahrhundert nach Amerika gebracht. Ursprünglich war es aus einem bunten Reigen an Spielen und Abwehrzaubern zusammengesetzt. Doch warum feierten gerade Christen ein heidnisches Fest aus keltischer Zeit, fragt Dewald. Und schreibt: "In dem Zustand, in dem sich Halloween heute präsentiert, wird es sicherlich nicht leicht, Ursprünge, Entwicklungswege und Transformationen freizulegen."
In der Tat hat sich das bizarre Fest vor allem in Amerika längst zu einem seltsamen Konglomerat aus Schock und Grauen entwickelt – und derart entstellt kehrt es seit rund fünf Jahren nach Europa zurück. Kinder erpressen zwischen Mittelmeer und Nordkap mit dem Spruch "Trick or treat" (also "Streich oder Belohnung") Süßigkeiten an Haustüren. Doch im Gegensatz zu den jahreszeitlich geprägten Installationen von den europäischen Häusern begnügen sich die amerikanischen Gestaltungskünstler nicht mehr mit Kürbissen, Maiskolben und Vogelscheuchen zur Abschreckung böser Geister. Dort bedient man sich inzwischen auch in den Requisitenkammern bekannter Horrorfilme, die nicht von ungefähr Halloween zum Hintergrund haben. "Halloween, die Nacht des Grauens" und die "Scream"-Reihe von Wes Craven sind die bekanntesten Filme, in denen am Fest der wandernden Seelen und Geister brutale Massaker inszeniert werden. Die Iren können in diesen Auswüchsen ihr traditionelles Samhain längst nicht mehr wieder erkennen.
Auch Markus Dewald muss eine klare Antwort auf die Frage, auf welche Tradition sich die im Festtaumel vereinten Gruselfreunde berufen können, aus Sorgfalt schuldig bleiben. "Ob sich Zusammenhänge zwischen keltischer und christlicher Religion, zwischen keltischen und christlichen Feiertagen, zwischen Samhain, Halloween und Allerheiligen jemals verlässlich rekonstruieren lassen, ist fraglich", schreibt er und spart nicht mit lautem, durchaus nachvollziehbarem Herumnörgeln an der inneren Leere des Events einer "profanen Gegenwartskultur". Er ist damit nicht allein. Die Kulturwissenschaftlerin Sabine Doering-Manteuffel bezeichnet Halloween knapp als "Spektakel im Winterspielplan eines säkularen Transzendenzzyklus". Wie viele andere esoterische oder okkulte Tagesangebote liefere es die Möglichkeit, die eher stille Zeit zwischen Herbst und Winter durch einen Zwischenkarneval zu überbrücken. Karnevaleske Züge macht auch Dewald an Halloween aus, das gerade auch für Menschen attraktiv sei, die von den traditionellen Formen organisierter Fröhlichkeit abgeschreckt würden.
Als neuheidnischer Kult, so wiederum Doering-Manteuffel, gehöre Halloween zu den "romantisch angehauchten, rational durchsetzten und ökonomisch nützlichen Konstruktionen unter der gezielten Verwendung einer religiösen Zeichensprache", freilich ohne jede ethische Anbindung. Sie sieht einen Zusammenhang zwischen Verbreitung des Horrorkults und den aktuellen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Krisen. Auch am Ausgang des Mittelalters, ebenfalls einer Zeit sozialen Umbruchs, so argumentiert sie, entwickelten sich im Volksleben neue Bräuche, in denen der Teufel und andere Gruselgestalten die Hauptrolle spielten. Doch während die Wissenschaft weiterhin rätselt, die Kirchen Alarm schlagen und Institutionen wie die schwedische Akademie für Sprache und Brauchtum Protest anmelden, läuft der Verkaufs- und Amüsierrummel um einen sonderbaren Kulturimport weiter. Bei der Gelegenheit: Haben Sie schon kleine Überraschungen für Halloween besorgt?
Aus: Stuttgarter Zeitung vom 30.10.02
 
Seitenanfang