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Stuttgarter Zeitung vom 17.07.01
Regierungspräsident und Volkskundler gründen
einen Verein zur Bewahrung des Dialekts
„Die Mundartforschung ist hier zu Lande seit einigen Jahren
tot“, beklagt der Tübinger Kulturwissenschaftler Hermann
Bausinger. Ein Verein soll nun das Schwäbische fördern.
Ob es der Dialekt nötig hat, weiß zwar niemand so genau,
aber viele wollen Mitglied werden.
Die genaue Zahl der Vereinsmitglieder anzugeben, ist für Tübingens
Regierungspräsident Hubert Wicker fast unmöglich - sie
steigt nämlich täglich. Bei der Gründungsversammlung
des Fördervereins „Schwäbischer Dialekte e.V.“
in Tübingen waren es noch knapp 250 Mitglieder. „Eine
sehr bunte Gesellschaft“, so beschreibt der Kulturwissenschaftler
Hermann Bausinger den Kreis der Leute, denen Schwäbisch offenbar
am Herzen liegt. Die Schriftsteller Peter Härtling und Felix
Huby gehören dazu, der Schauspieler Walter Schultheiß,
Landesbischof Gerhard Maier, Umweltminister Ulrich Müller,
aber natürlich auch Institutionen wie der Schwäbische
Albverein und der Schwäbische Sängerbund.
„Der Verein steht jedem offen“, sagt Wicker. Sogar viele
Norddeutsche hätten ein Beitrittsformular ausgefüllt.
Als vorbildliches Mitglied nennt Volkskundler Bausinger einen Spender
von zwei Millionen Mark. Der jedenfalls scheint bisher nicht gefunden.
Aber das Beispiel deutet an, dass der Verein den Dialekt nicht nur
mit ideellen, sondern auch mit finanziellen Mitteln unterstützen
will. Wicker hofft, bereits im nächsten Jahr 100.000 Mark für
Projekte ausschütten zu können, die dem Erhalt und der
Erforschung des Schwäbischen zugute kommen. Mitglieder mit
50 Euro Jahresbeitrag sowie Sponsoren sollen die Summe zusammenbringen.
„Da hilft es bestimmt, dass auch Sparkassenpräsident
Heinrich Haasis zu den Mitgliedern gehört“, übt
Wicker bereits einen sanften Druck auf potenzielle Sponsoren aus.
„Ich kann gar nicht anders als schwäbisch sprechen“,
sagt Wicker von sich selbst. Dennoch treibe ihn der Eindruck um,
dass der Dialekt zunehmend zurückgedrängt wird. Zumindest
verwischten dessen Ausprägungen. Früher habe jeder in
einer Region hören können, aus welchem Dorf der Gesprächspartner
stamme, sagt der gebürtige Ebinger.
Wicker ist Initiator des Fördervereins und hat in Hermann Bausinger
einen idealen Verbündeten gefunden. Der emeritierte Leiter
des Tübinger Ludwig-Uhland-Instituts muss nämlich feststellen,
dass „die Mundartforschung hier zu Lande seit Jahren tot ist“.
Eine entsprechende Stelle in diesem Institut liege seit fünf
Jahren brach. Ob Wickers Eindruck eines zunehmend verdrängten
Dialektes stimme, wisse somit derzeit niemand. Auf einzelne Worte
treffe dies bestimmt zu, da ist Bausinger sicher. Früher hätte
jedes Kind auf der Alb 20 Vokabeln für die Teile eines Leiterwagens
nennen können. „Heute muss man froh sein, wenn Kinder
verstehen, was eine Deichsel ist“, sagt Bausinger. „Jedes
Kind kennt aber die Servolenkung.“ Material für die Dialektforschung
liegt bereit. Dazu gehören im Ludwig-Uhland-Institut mehr als
2.000 Tonbandaufzeichungen mit schwäbischer Alltagssprache.
Sie sind zwischen 1955 und 1995 an 500 Orten im Land aufgezeichnet
worden. Die technische Sicherung der Bänder sowie deren Auswertung
möchte der Verein unterstützen. Der Tübinger Uni-Rektor
Eberhard Schaich, auch er Vereinsmitglied, deutet bereits an, sich
für eine Wiederbesetzung der Stelle für Dialektforschung
einzusetzen.
Der Verein möchte auch einzelne Projekte fördern. Dazu
kann die Mundartliteratur gehören, das Kabarett oder die Mundartpädagogik.
„Wir wollen eine breite Bewegung, die dazu beiträgt,
dass der schwäbische Dialekt auch weiterhin selbstbewusst gesprochen
wird“, sagt Wicker. Wer es unterstützen will, kann über
das Tübinger Regierungspräsidium ein Aufnahmeformular
unter der Telefonnummer 07071/7 57 32 92 anfordern.
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