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Sprachen und
Mundarten
Oder: Kann man Mundarten pflegen?
von Stefan Pflaum
Das Alemannische ist ein Dialekt unter Tausenden auf der Welt. Ich
liebe diesen Dialekt, so wie Milliarden von Menschen ihren Dialekt
lieben. Und weil ich meinen Dialekt schätze, schätze ich
viele andere, auch wenn ich diese kaum oder gar nicht sprechen und
verstehen kann. Auf die Schrift will ich hier nicht eingehen, weil
ja viele Dialekte entweder überhaupt nicht geschrieben werden,
zumindest aber bei den meisten eine verbindliche Ortographie gar
nicht erst festgelegt wurde, weil Dialekt „zunächst einmal
... als gesprochene Sprache begrenzter Reichweite definiert ist.“
Ich gehe davon aus, dass auch andere, nicht alemannisch-sprachige
Menschen meinem Dialekt Sympathie entgegenbringen, unabhängig
davon, ob sie ihn gut, nur teilweise oder gar nicht verstehen –
Dialekt ist ja in vieler Hinsicht einfach nur Musik.
Natürlich wird es auch Menschen geben, die meinen Dialekt,
einschließlich seiner literarischen Produktionen als grob
empfinden, vielleicht sogar als hässlich. So wie auch mir nicht
alle Mundarten gefallen, sich für mich unangenehme Bilder an
sie heften, sie alleine vom Klang her mein Ohr beleidigen, weiß
ich, warum! Solcherlei ästhetische Urteile oder Vorurteile
findet man ja auch in Bezug auf Hochsprachen.
„Ich weigere mich, Dialekt und Hochsprache gegeneinander aufzuwiegen“.
Ich weigere mich, Dialekt und Hochsprache gegeneinander aufzuwiegen.
Denn „unter rein sprachwissenschaftlichen Gesichtspunkten
unterscheidet sich ein Dialekt nicht von einer Sprache. Er verfügt
... über ein phonetisches System, über eine Grammatik
und über eine Lexik.” Eine „klare Gegenüberstellung
von Sprache und Dialekt” ist „durchaus nicht immer möglich.”
„Dialekt ist von seiner formalen, ausdruckseitigen Qualität
her ein selbständiges und vollständiges System, das in
den meisten Fällen alle grammatischen Ebenen besetzt, sodass
die Meinung von einer »defekten« oder unzulänglichen
Sprache eher davon geleitet wird, dass Dialekt im Verhältnis
zur Standardsprache nicht die »richtige« Sprache ist.”
Deshalb möchte ich mich hier auch nicht über positive
und negative Werte auslassen, die man Dialekten zuspricht, überhaupt
widerstrebt mir eine Wertung von Dialekten, weshalb ich „uff
de Sau furt könnt”, wenn ich immer wieder erleben muss,
dass es bei Dialektabenden zu den anscheinend populärsten Unterhaltungsangeboten
gehört, das Hochdeutsche, respektive z.B. das Schwäbische
oder Sächsische zum Gegenstand des Spottes zu machen. Aber
so ist es eben: Wenn den Leuten nichts einfällt, werden sie
einfältig. „Insofern ist der Platz des Dialekts neben
der Hochsprache unbestritten”
Also: Weder sollte ein Dialekt als dem anderen Dialekt überlegen
dargestellt noch die Hochsprache im Vergleich mit dem Dialekt als
das Wertvollere betrachtet werden. Beide haben nämlich ihren
jeweiligen Stellenwert, im Dialekt kann ich eben ein Stück
Lebenswelt ausdrücken, das ich in der Hochsprache nicht ausdrücken
kann, weil dieses Stück Welt ein Stück Dialektwelt ist,
zumindest kann ich dieses Stück Dialektwelt im Hochdeutschen
nicht mit den sprachlichen Ausdrucksmitteln darstellen, die mir
der Dialekt zur Verfügung stellt und die im jeweiligen Falle
die präziseren sind – als einzige in der Lage –
die Töne mitschwingen zu lassen, die dieses Stück Dialektwelt
als Tonmaterial bereithält. Dies gilt auch umgekehrt für
die Leistung der Hochsprache. Insofern ist der Platz des Dialekts
neben der Hochsprache unbestritten.
Gewiss wurden und werden der natürlichen Neigung von Sprachen
und Dialekten zur Diversifikation oft politische Entscheidungen,
menschliche Willensakte, entgegengesetzt und so gab und gibt es
historisch-politisch begründete Sprachenkämpfe –
ich denke z.B an die Sprachenpaare Flämisch/ Wallonisch oder
Kurdisch/ Türkisch – die über das Schicksal einer
Sprache mitentschieden und mitentscheiden und auch verständlich
oder sogar notwendig machen, dass man sich in diesem geschichtlichen
Prozess engagiert.
Aber es gibt auch Entwicklungen, die es weniger leicht machen, auf
den Gang der Dinge einzuwirken. Dazu zählen heute die mediale
Revolution, die weltweite Vernetzung von Arbeits- und Produktionsprozessen
und die damit verbundene soziale Mobilität. Im Zuge dieser
weltumspannenden Veränderungen kämpfen nicht nur Dialekte,
sondern auch Hochsprachen ums Überleben, zumindest um die Behauptung
ihrer Position. Einer Hochrechnung zufolge werden in hundert Jahren
90 % aller jetzt noch existierenden Sprachen verschwunden sein.
Es steht fest, dass auch innerhalb kleinerer geographischer Einheiten
weltweit immer mehr Sprachen- und Dialektformen verschwinden oder
sich zu Sprachen- und Dialektinseln vereinzeln. Hinzu kommt, dass
zunehmend Lebensbereiche von einem technischen Instrumentarium bestimmt
sind, das seine Benennungen nicht einmal allein aus der Hochsprache
bezieht, sondern in wachsendem Maße aus der führenden
Weltsprache, dem Englischen.
Um den Dialekt ist es somit schlecht bestellt, und wenn dann noch
politisch motivierte Sprachpräferenzen hinzu kommen, wie z.B.
in Frankreich, das bis heute die Charta für sprachliche Minderheiten
nicht unterschrieben hat, sieht es noch schlechter aus. Als Beispiel
möge das Elsässische dienen, da hilft keine nostalgische
Augenwischerei.
Jetzt komme ich zurück zum Anfang: Ich liebe Dialekte und ich
liebe meinen Dialekt. Und es macht mich traurig, dass Dialekte verschwinden
oder zu verschwinden drohen. Aber es gibt soziopolitische, technische
Entwicklungen, die man nicht aufhalten kann und darunter sind ja
nicht nur negative Entwicklungen, aber leider eben welche, die für
Sprachen Eiszeiten, das heißt, das langsame Sterben und schließlich
das Aus bedeuten.
Und da gehöre ich nicht zu denen, die für die Einrichtung
von Dialektreservaten plädieren, für Sprachenzoos oder
für vergebliche Wiederbelebungsversuche von schon untergegangenen
Idiomen. Wo ein Dialekt seine Lebensgrundlage verliert, d.h. unter
anderem, relativ stabile gesellschaftliche Strukturen, Familienformen,
traditionelle Berufe, verliert sich auch das Gefühl sprachlicher
Zusammengehörigkeit. Dialektgruppen, Dialektsprecher vereinzeln
und schon die nächste Generation wird den Dialekt nicht übernehmen,
ihn nur noch passiv beherrschen, und noch eine Generation später
ist eine jahrhundertelang gewachsene Sprachtradition in diesem Gebiet
– und sei es nur eine Straße – aus dem menschlichen
Kulturbestand getilgt. Da müssen sich dann die Verfasser des
Sprachatlas beeilen.
„Denn der epochalen Tendenz zur Globalisierung und Monopolisierung
stehen Dezentralisierungs- und Regionalisierungstendenzen entgegen.”
Das wird man bejammern, aber mehr nicht, denn Pflege der Mundart
bedeutet nicht, gegen Windmühlen kämpfen. Pflege der Mundart
ist sinnvoll nur dort, wo die entsprechenden Rahmenbedingungen für
das Leben einer Sprache diese auch möglich machen. Diese Bedingungen
sind von Region zu Region, von Stadt zu Stadt, von Dorf zu Dorf
und von Schule zu Schule verschieden und das gilt es zu berücksichtigen.
Aber es gibt nicht nur Anlass zur Schwarzmalerei. Denn der epochalen
Tendenz zur Globalisierung und Monopolisierung stehen Dezentralisierungs-
und Regionalisierungstendenzen entgegen, die allerorten eine Aufwertung
regionaler Kulturen und Sprachen bewirken und viele Menschen begreifen
Mundart plötzlich wieder als wichtiges, identitätsstiftendes
Moment, das sie nicht ohne Not aufzugeben bereit sind. So rufen
heute nach Kanada, Australien oder Brasilien ausgewanderte „Alemannen”
über das Internet alemannische Textproduktionen auf. Die Muttersprache
wird wieder als Ort der Geborgenheit, als Heimat, sogar als Widerstand,
als Gegenkultur begriffen, wobei aber hier die Gefahr weltfremder,
sektiererischer, emotionaler Aufladung dieser Begriffe, die Gefahr
politischer Instrumentalisierung von Sprache nicht verschwiegen
werden darf. Hoffnung machen Verhältnisse wie etwa die im benachbarten
dreisprachigen Luxemburg, wo das „Letzeburgisch“, ein
mitteldeutscher Dialekt aus der Gruppe des Moselfränkischen,
einen besonderen Schutz genießt, ohne Anspruch auf einen offiziellen
Status zu erheben. Es lebt in Luxemburg als Familien-, Geschäfts-
und Gerichtssprache neben dem Französischen, als Amts- und
Schulsprache und dem Deutschen, also dem Hochdeutschen, das die
„Sprache der Presse, der Kultur und der Religion (katholisch)”
ist.
In der Einleitung zum Luxemburgischen Wörterbuch steht ein
Passus, der eine beeindruckende Hochachtung gegenüber dem eigenen
Dialekt dokumentiert und der als eine Art Magna Charta auch für
andere Dialekte gelten könnte:
„Jeder Luxemburger, ganz gleich, welcher sozialen Schicht
er angehört, spricht seinen Dialekt, der für ihn gleichbedeutend
mit einer Kultursprache ist, nicht nur im Privatleben, sondern auch
im Rahmen zahlreicher öffentlicher Beziehungen. Er sieht in
ihm den bevorzugten Ausdruck seiner Persönlichkeit. Nur im
Dialekt verfügt er über eine ungezwungene Leichtigkeit,
eine Ausdrucksweise voll Frische und Spontaneität und lässt
seiner Sensibilität und seinem Humor freien Lauf. Das Nationalgefühl
und die politische Willensbildung der Luxemburger beruhen weitgehend
auf dieser gemeinsamen Grundlage. Die Muttersprache wird im täglichen
Gebrauch durch keine Schriftsprache zurückgedrängt.”
Es gibt also durchaus auch Möglichkeiten, für Bedingungen
zu sorgen, die dem Weiterleben einer Sprache, einer Mundart förderlich
sind, der „Monotonisierung der Welt” – der Ausdruck
geht auf Stefan Zweig zurück – nicht nur in Bezug auf
Ethnien oder biologische Arten, sondern auch im Hinblick auf Sprachen
und Dialekte entgegenzuwirken.
„Wie will man Jugend für Mundart gewinnen, wenn ihr
Mundart meist als das Althergebrachte, Altehrwürdige präsentiert
wird?”
Auch wenn Mundarten an altem Sprachbestand zäher festhalten
als Hochsprachen, sie verändern sich ebenfalls und mit ihnen
die Welt, die in ihnen ihren Ausdruck findet. Man muss abrücken
von einer Auffassung, die in der Mundart ein unveränderliches
Kulturrelikt sieht, das möglichst unverändert tradiert
werden soll, und über das Mundarthüter mit Argusaugen
und -ohren wachen. Für Sprachen ist Veränderung mit konstitutiv,
zumindest in Gesellschaften wie der unseren, wo nicht nur die Veränderung
selbst, sondern gerade die Geschwindigkeit, mit der sie sich vollzieht,
zu einem Wesensmerkmal geworden ist. Auch Mundarten reagieren auf
die endlosen Metamorphosen der Lebensumwelt in erstaunlich kreativer
Weise, verwandeln sie sich, erfinden und gestalten diese umgekehrt
neu. Diesen Veränderungen der Mundart muss man nachspüren
und man muss sie zulassen. Wie will man Jugend für Mundart
gewinnen, wenn ihr Mundart meist als das Althergebrachte, Altehrwürdige
präsentiert wird, und das oft nur im Zusammenhang mit Brauchtum,
Fasnet, und Seniorenabenden?
Wieso soll sie sich für etwas interessieren, was mit ihrem
Leben gar nichts zu tun hat? Bloßes Traditionswächtertum
und der Wunsch, etwas lebendig zu erhalten, schließen sich
aus. Noch einmal: Dialekt kann man nicht ausstopfen und ins Museum
stellen. Dialekt lebt und stirbt mit den Menschen, die ihn sprechen.
Sind diese Menschen mit ihrer Sprache nicht mehr da, kann man die
Regionen, in
denen sie lebten, nicht sprachlich aufforsten. Gegen einen Sturmwind
Lothar, der nicht Bäume umknickt, sondern Sprachen fortweht,
gibt es keine Versicherung. In solch einer Gegend wäre sprachliche
Traditionspflege zum Scheitern verurteilt. Und es gibt viele solche
Gegenden. Was man aber machen kann, ist, dort, wo ein Dialekt noch
lebt, Liebe zum Dialekt und Freude am Dialekt wecken. Dabei möchte
ich hinzufügen, dass die Hochachtung vor der eigenen Mundart
den Respekt vor der anderen Mundart miteinschließt, also ein
Stück gelebter Toleranz ist, und somit bedeutet Pflege der
Mundart auch ein Stück Pflege von Mitmenschlichkeit. Dafür
aber lohnt es sich allemal, Mundart zu pflegen.
Also, kann man Mundart pflegen? Ja, aber nur wenn man sie als sich
mitverändernden Teil unserer heutigen Welt begreift und nicht
nur als schützenswerte, vom Aussterben bedrohte Spezies.
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