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Geneigter Leser


 
anstelle eines Standpunktes lesen Sie in dieser Ausgabe einen Bericht
unseres Redaktionsmitglieds Stefan Zielke, über eine der letzten Frauen
der Schwäbischen Alb, die zeitlebens nichts anderes als Tracht getragen
hat:

Meilenweit von den Folkloretrachtenträgern entfernt

Ratlos vor dem überfüllten Kleiderschrank zu stehen – für die meisten Menschen eine vertraute Situation. Nicht so für Emma Gebhardt aus Altheim/Alb im Alb-Donau-Kreis. Die 90-Jährige blieb allen Modeentwicklungen zum Trotz ihrer Bauerntracht treu. Diese besteht aus einer überschaubaren Anzahl von Röcken, Schürzen, Hemden, Jacken, Hauben und Kopftüchern. Welche Zusammensetzung der einzelnen Trachtenteile zu welchem Anlass getragen wird, muss nicht lang überlegt werden. Die Zusammenstellung entspricht einem über Generationen weitergegebenen Regelkatalog.
Einkaufsstress in Modehäusern, Kataloge durchwälzen, sich den Kopf zerbrechen, was man zur Hochzeit von Freunden anzieht oder was in die Altkleidersammlung soll – jeder kennt diese Erfahrungen, und sie werden uns ein Leben lang begleiten, denn Mode ist einem ständigen Wechsel unterlegen und verlangt Anpassung.
Emma Gebhardt, eine 90-jährige Trachtenträgerin auf der Ulmer Alb, hat sich darum nie kümmern müssen: „I han mei Baurahäs (Bauerntracht), i brauch koine Kloider kaufe. Mei Häs hält mi aus!“. Frau Gebhardt spricht von ihrem „Häs“, nicht von Kleidern oder Kleidung. Sie verwendet den einst in Württemberg gebräuchlichen Begriff für Kleidung und meint
damit ihre Tracht.
Emma Gebhardt
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Emma Gebhardt - eine der letzten Trachtenträgerinnen der Schwäbischen Alb.

Foto: Stefan Zielke

Bereits als Kind hatte sie eine Sonntags- und Werktagstracht, und mit der Einschulung bekam sie das „Schulerhäs“. Die Schultracht habe man - Allerdings immer gleich nach dem Unterricht – noch vor dem Mittagessen – ausziehen und durch die Werktagstracht ersetzen müssen, denn „s'Baurahäs war teuer, drom hot mr's au g'schont!“.
Die ersten Erwachsenentrachten bekam Emma Gebhardt, wie damals üblich, zu ihrer Konfirmation im Jahr 1928. Es war das schwarze „Konfirmationshäs“ für hohe kirchliche Anlässe und das farbige „Festhäs“ für weltliche Feste. Die restlichen Trachten wurden damals zur Aussteuer angeschafft, wobei Emma Gebhardt sich einschränken musste, waren ihre Eltern doch arme Bauern. „Du erbscht mal meine Röck'!“, versprach ihr die Mutter. Spätestens am Tag der Hochzeit waren die Frauen im Besitz aller Trachten und der dazugehörigen Bestandteile für die verschiedenen Anlässe.
 
Trachten waren eine Anschaffung fürs Leben. Die Stoffe dafür wurden in speziellen Textilgeschäften in Ulm oder von Händlern, die ins Dorf kamen, gekauft. Verarbeitet wurden sie von der „Bauranähere“, berichtet Emma Gebhardt. Jede Tracht ist Maßarbeit. Die Bezeichnungen der verschiedenen Trachten spiegeln das bäuerlich und kirchlich geprägte Lebensumfeld der Trägerinnen. Man unterscheidet zwischen „Stallhäs“, „Werdeghäs“, „Sonndeghäs“, „Klagneshäs“ (=Trauertracht), „Festhäs“ und „Museghäs“. Emma Gebhardt kennt die Zusammenstellungen der „Baurahäser“ für die jeweiligen Anlässe ganz genau, und ein Abweichen davon wäre für sie undenkbar. Freilich ist diese „Ordnung“ heute fast niemandem mehr bekannt. Gerade noch zwei Trachtenträgerinnen leben in Altheim. Vor einem halben Jahrhundert war das noch anders. Da war es für die Frauen auf der Ulmer Alb durchaus noch üblich, sonntags und werktags Tracht zu tragen. Auf ihr „Festhäs“ hatten sie immer „einen besonderen Stolz“, erinnert sich Frau Gebhardt und strahlt.
 
Zum „Festhäs“ gehörte ein „tafleter“ – also ein großkarierter – Rock mit einem „g'nähte Leible“. Das ist ein mit Seidengarn besticktes Samtleibchen, das am Rockbund angenäht wurde. Weitere unverzichtbare Bestandteile waren die „g'stoinlete Kutt“ (ein kleinkarierter Unterrock) mit „drucktem Leible“ (einem buntbedruckten Samtleib), der „blomete seidene Festschuuz“ (weiß-, blau- oder braungeblümte seidene Festschürze), der „blomete, seidene Festjacka“ (schwarzgeblümte Seidenjacke) bzw. der „Sahmetjacka“ (schwarze, glatte Samtjacke), das weiße spitzenbesetzte „Hemed“ (Hemd), der „Festbod“ (Bod = Bund = Kopftuch) und schwarze, selbstgestrickte Strümpfe. Bei aller scheinbaren Einheitlichkeit der Trachten gab es allerdings auch feine Unterschiede. Beispielsweise konnte man an der Breite des sich oberhalb des Rocksaumes befindlichen Samtbandes ablesen, wie begütert die Familie der Trägerin war. Auch das Material der Jacken und Schürzen, die Breite der Spitzen oder die Art des Schmucks, gaben Auskunft über Stand und Herkunft. So war die besonders erwähnte samtene Jacke – der „Sahmetjacka“ – typisches Kennzeichen der reichen Bäuerinnen. Die anderen trugen Seiden- und die noch Ärmeren Baumwolljacken. Es waren kleine Details, die jedoch von allen Dorfbewohnern verstanden wurden.
 
Trotz der verführerischen Klarheit der „Trachten-Ordnung“ – man weiß sich immer richtig angezogen – werden für die Menschen des 21. Jahrhunderts die Nachteile dieser Kleiderform buchstäblich schwerer wiegen: Da ist zunächst der Gewicht. Durch die beiden übereinander getragenen Röcke haben die Frauen mehrere Kilogramm Stoff zu tragen. Die gefältelten Röcke lassen die Frauen oft korpulenter wirken, als sie in Wirklichkeit sind – was freilich dem Ideal einer tüchtigen Bauersfrau entsprach. Da es beim „Baurahäs“ keine spezielle Sommer- oder Wintertracht gibt, ist diese im Sommer sehr warm und für den Winter eher zu leicht. Die wollenen Tuchröcke oder die Seidenschürzen in die Waschmaschine zu stecken, würde ihr Ende bedeuten. Sie werden ausgebürstet, gelüftet und dann gewendet in den Kasten gehängt. Tracht ist also weder pflegeleicht noch bequem.
 
Für Emma Gebhardt bedeutet Tracht zu tragen, sich zu ihrer bäuerlichen Herkunft zu bekennen. Nur für eine kurze Phase in den 1930er Jahren hat sie bürgerliche Kleidung getragen. Doch die Stoffknappheit während des Zweiten Weltkriegs und in den folgenden Jahren ließ sie für immer zur Tracht zurückkehren. Hier findet sie ihre Identität. Rückblickend stellt sie fest: „Mir hot oifach's Baurahäs besser gfalla. Des Herrische“ – damit meint sie die bürgerliche Kleidung – „hot es zu mir basst.“ Genau diesen Eindruck vermittelt die kleine, zierliche Frau. Ihre Tracht unterstützt ihre Persönlichkeit, sie wirkt würdevoll und völlig authentisch. Zwischen ihr und den „verkleideten“ Trachtenträgerinnen von Folklore- Festumzügen liegen Welten. Emma Gebhardt’s Welt ist nach wie vor ihr Dorf auf der Schwäbischen Alb. Dort treibt sie, so weit es ihre Kräfte noch zulassen, ihren Garten um und lässt sich von Enkeln und Urenkeln erzählen, was ansonsten „auf der Welt“ vorgeht.

Herzlichst

Ihr Stefan Zielke
 

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