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Peter Stiegler

Anmerkungen zur Trachtenbewegung



Aus den vorstehenden Diskussionsbeiträgen entwickelte Peter Stiegler nachfolgende Thesen
 

Zurück in die Zukunft?


Hauptursächlich wegen der Industrialisierung Anfang des 19. Jahrhunderts verschwand die oft heruntergewirtschaftete ortstypische bäuerliche Tracht langsam weitgehend. Ein wiedererwachendes National- und Heimatgefühl führte durch Initiativen von Persönlichkeiten wie dem Lehrer Vogel oder dem Pfarrer Heinrich Hansjakob und deren Schriften zu ersten Gründungen von Trachtenerhaltungsvereinen, die damals eine rasche Verbreitung erfuhren. Dies, verbunden auch mit einer gewissen Vereinnahmung der Trachtensache im "Dritten Reich", sind im Wesentlichen immer noch die Wurzeln unserer heutigen Trachtenbewegung.

Heute liegt wieder einmal alles, was auch nur entfernt etwas mit Heimat, Brauchtum oder Geschichte im Sinne von Identität zu tun hat, voll im Trend. Trachtenträger stehen in unserer multikulturellen und globalen Welt im Auge vieler Betrachter für das Heimatverbundene, Bodenständige und für ein Stück heile Welt.
Trotz dieser erfreulichen Entwicklung ist der Begriff "Heimat" bei vielen Menschen negativ besetzt und das Wort "Trachtenverein" noch viel mehr. Trachtler gelten dank Medienpräsenz und Heimattage zwar immer weniger, aber leider immer noch als rückständig, dumpf und reaktionär.
Es ist daher dringend notwendig, dass wir uns und unsere heutigen Ideen und Aktivitäten bei Politik, Medien und breiter Öffentlichkeit wesentlich besser präsentieren als bisher.

Ideen und Aktivitäten?


Wenn wir ehrlich sind, müssen wir zugestehen, dass Tracht heute, auch in unseren Vereinen, leider viel zu oft "Verkleidung" ist, kein Gebrauchsartikel. Sie hat keine echte Funktion in unserem sozialen Leben mehr. Jeans, Anzug, Kostüm und seltsamerweise, oder nach dem oben Gesagten fast natürlicherweise, die so genannte Landhausmode sind doch das Gewand unseres Alltags.
Beweise? Wo sieht man heute, außer bei Heimatabendgestaltern, Trachten- und Volkstanzfesten und Heimattagen, noch Trachtenträger? Nicht mal zu der Podiumsdiskussion sind alle in Tracht erschienen.
Fazit: Tracht kann und will heute nicht mehr in der sozialen Wirklichkeit getragen werden. Sie kann und sollte aber durch permanentes Tragen bei vielen normalen Gelegenheiten wieder zu einem Teil unserer sozialen Wirklichkeit werden. Beispiel? Entwicklungen in vielen anderen Ländern, z.B. Norwegen und Schweden.
Den "guten alten Brauch" hat es nie gegeben und gibt es auch nicht mehr. Wenn unsere Bräuche aber statisch und unflexibel geworden sind, pflegen wir nur ein lebendiges Museum.
Nur lebendige Bräuche, die im Leben der Menschen Platz haben, haben Zulauf und Erfolg. Siehe: Ostern, Weihnachten, Fasnet.
Nur wenn wir Altes bewahren, behutsam Neues aufnehmen und fortentwickeln existieren die "Sitten und Trachten der Alten" weiter.
Wir müssen unsere Aktivitäten, seien es unsere oft nicht mal bodenständigen und publikumswirksam aufpolierten Tänze, unsere ewig gleichgearteten Heimatabende, unsere Volksmusik, unser Theater und unsere Umzüge immer wieder überdenken und vorsichtig und unabhängig von jedem kurzfristigen Trend und jedem Mediengeschrei aktualisieren.

Was ist also zu tun?


Zwölf Bedingungen für ein erfolgreiches Fortbestehen der Trachtenbewegung:
 
1. Wir werden uns und unsere Ansichten mit viel Feingefühl verändern und vorsichtig an den Zeitgeist anpassen müssen. Dabei dürfen wir aber nicht den bequemen Weg des Mitschwimmens im Trend und des Anpassens gehen.
 
2. Wir müssen in unseren Trachten so historisch genau und sauber wie irgend möglich bleiben, dabei prüfen, genau recherchieren und weiterentwickeln im Sinne Trage- und Pflegekomfort. In Bezug auf die Optik der Tracht gilt immer noch "Treu dem guten Alten", nicht aber in Bezug auf den Tragekomfort. Man muss sich in seiner Tracht wohlfühlen können, das geht aber auch ohne sichtbare Reißverschlüsse und Kunststoffe.
 
3. Wir müssen "gutes Altes" bewahren, darin wurzeln, aber gleichzeitig Neues beobachten, tolerieren und Experimente, auch in der Verbindung der musischen Ausdrucksformen und Kulturen, zulassen.
 
4. Jugend ist, das zeigen unsere Zuwachszahlen, vielleicht auch aus den o.a. Gründen leicht für die Trachtensache zu begeistern. Wir müssen aber Wege finden, um sie über die Pubertät hinaus für die Trachtenbewegung zu halten. Dazu gehören vor allem professionell ausgebildete Jugendleiter, die mit ihren Aktionen auch mal über den Tellerrand hinausblicken.
 
5. Wir müssen auf die Veränderungen in der Gesellschaft achten und darauf reagieren. Ein Trachtenträger sollte aber schon differenzieren, wann er sich in Landhausmode kleidet oder bei welcher Gelegenheit er seine Heimattracht tragen will.
 
6. Tänze müssen als bodenständige Tanzbodentänze, die allen Spaß machen, auch Außenstehende einladen mitzumachen. Tracht darf andere nicht ausgrenzen.
 
7. Wir müssen uns sicher sehr ernsthaft mit unserer Vergangenheit und unseren Wurzeln auseinandersetzen und die musischen und kulturellen Relikte unserer Heimat als ehrliches, lebendiges Zeugnis einer breiten Öffentlichkeit zeigen. Wissen und Forschung ist hier wichtig. Aber auch jedes einzelne Mitglied sollte sich über die Bedeutung und Form seiner Tracht im Klaren sein und vor allem die persönliche Verantwortung für seine Tracht und das Trachtenwesen übernehmen und weitertragen.
 
8. Aber trotzdem ist es für das gute Fortbestehen der Trachtenbewegung unerlässlich, dass all unser Tun in der Gegenwart stattfindet. Nicht was gestern war ist entscheidend. Heute müssen wir uns in der Gesellschaft permanent akzentuieren. Unsere Tracht muss viel, viel mehr bei "normalen" Anlässen in der Öffentlichkeit zu sehen sein, z.B. bei Hochzeiten, Kirchgängen, Prozessionen, bei Empfängen und Festen anderer Vereine und Firmen, Ausstellungen usw. Unsere Tracht und Tradition muss in Bewusstsein und Gegenwart der Menschen heute stattfinden, nicht in der Vergangenheit.
 
9. Wenn wir Tracht in diesem Sinne tragen, dann in der zu einem selbst und seiner Heimat gehörenden und passenden Wechselform. Senioren in Jugendtracht, 60-Jährige im Jungfernkranz wirken einfach nur lächerlich.
 
10. Jeder Trachtenverein hat die Vorstandschaft und die Mitglieder, die er verdient. Vorstände und Mitglieder müssen etwas bewegen, brauchen Außenwirkung und Führungsqualitäten. Die Vereinsleitungen brauchen ständige Fortbildung nicht nur in unserem traditionellen Tun, sondern in Vereinsführung und Management, Steuer- und GEMA-Recht, Rhetorik und Jugendleitung.
 
11. Die Tracht ist eine der vornehmsten Möglichkeiten zur Darstellung der eigenen Persönlichkeit und der Haltung zum Kollektiv Heimat. "Mut zur Tracht" und Treue zu den damit verbundenen Brauchformen sind erste Voraussetzungen für eine erfolgreiche Trachtenbewegung, für erweiterte Popularität und für unseren gesellschaftlichen Stellenwert. Wer als bekennender Trachtler sich seiner Tracht schämt oder diese, aus welchen Gründen auch immer, nicht bei vielen Gelegenheiten tragen mag, ist selber die personifizierte Gefahr für die Existenz des Trachtenwesens.
 
12. Genau hier haben wir noch ein weites Aufgabenfeld und enorme Ansatzpunkte, um unsere Sache weiter voranzubringen und positiv in die Zukunft zu bewegen. Notebook und Tracht, e-mail und Radhaube haben heute durchaus nebeneinander Existenzberechtigung. Setzen wir alle Möglichkeiten in unserem Sinne ein!
 

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