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Berichte
Volkstanzwoche Überlingen ´99
Premiere für schwäbische
mund.art e.V.
Landes-Hackbrettbund gegründet
Jürgen Hohl ausgezeichnet
Internet und Volkstanz unter einem Dach
Das Archiv fÙr schw¹bische Kultur in Balingen
Was prägt die Sachsen
- Suche nach Wurzeln regionaler Identität
Bericht der 37. Baden-Württembergischen
Volkstanzwoche in Überlingen am Bodensee
vom 2. - 9. Januar 1999
Dieses Jahr bekam ich, mehr oder weniger freiwillig, die ehrenvolle
Aufgabe übertragen, einen kleinen Bericht für den Heimatpfleger
zu schreiben.
Jedes Jahr fiebert man bereits im Sommer der Überlinger Woche
entgegen und hofft, daß die Zeit schnell verstreicht; selbst
Weihnachten und Sylvester haben nicht mehr die gleiche Bedeutung wie
früher.
Seit fünf Jahren komme ich immer wieder gerne an diesen Ort der
Begegnung. Bereits bei der Anreise wird man immer sehr herzlich aufgenommen
und man fühlt sich, selbst wenn man das erste Mal kommt, gar
nicht fremd.
Es ist alles sehr gut vorbereitet und man kann gleich sein komfortables
JUHE-Zimmer beziehen, Koffer auspacken, Betten beziehen und herumsuchen,
wo denn alle anderen schlafen. Schon ist man wieder im Trott, denn
wenn der Gong um 18.00 Uhr ertönt, treffen alle beim ersten gemeinsamen
Essen zusammen. Anschließend geht es zum Begrüßungsabend
wo alle Tanzleiterinnen und Tanzleiter vorgestellt werden. Dieses
Jahr kam die Gastreferentin aus Österreich und sollte uns in
Österreichischen Tänzen unterrichten. In Volkstanzkreisen
muß ich über diese Dame nicht viel schreiben, denn Sie
ist die österreichische Antwort auf Wulf Wager. Ihr Name ist
Else Schmidt. Kleine gemeinsame Spiele wurden zum Kennenlernen gemacht,
dann war Kehraus (gemeinsames Tanzen) zum Beschnuppern angesagt, das
abwechselnd von allen Tanzleiterinnen und Tanzleitern vermittelt wurde.
Zum krönenden Abschluß des Tages trifft man dann die Unermüdlichen
in der "Haifischbar", wo dann auch mancher Teeüberdrüssige
anderen Köstlichkeiten frönen kann. Tanzen, singen, quatschen,
lachen und geselliges Beisammensein ist hier das Motto bis in die
frühen Morgenstunden.
Um 7.30 Uhr ist es dann vorbei mit der Nachtruhe, denn da wandern
die Musikanten durch die Gänge und spielen flotte Rhythmen mit
Ausdauer, daß selbst ein Tiefschläfer aus seinen Träumen
gerissen wird. Um 8.00 Uhr gibt es Frühstück – v i
e l z u f r ü h –! Der gute Kaffee und die frischen Brötchen
schaffen es aber immer wieder, daß selbst der längste Nachtschwärmer
bei Tische erscheint. Das Herbergsessen ist nicht zu verachten, denn
es gibt alles, was den Gaumen erfreut. Angefangen vom Hähnchenschenkel,
Kartoffelpuffer oder Wiener Schnitzel –L E C K E R-!!!
Das ganze Tagesprogramm ist ziemlich straff organisiert, eine Tanzstunde
jagt die andere und in der Mittagspause kann man das JUHE-Schwimmbad
benutzen, zur Freude aller kleinen Teilnehmer. Dieses Jahr fand auch
wieder das sagenumwobene Stadtspiel statt, welches super organisiert
war. Inzwischen kenne ich Überlingen besser, in Punkto Sehenswürdigkeiten,
als meine eigene Heimatstadt. Es wurden viele Fragen gestellt, teils
zum Allgemeinwissen, teils zum Rechnen, zum Tanzen und zum Forschen.
Jede der fünf Gruppen brachte bei der Ankunft in der JUHE ein
selbstgedichtetes Lied mit auf die Melodie "Auf´m Wasa
grase d` Hase". Das war unter anderem eine der vielen Aufgaben.
Nach dem Abendessen traf man sich zur Siegerehrung mit Preisverleihung.
Ein riesengroßes Lob dem Leitungsteam:
Bernhard Danner (Gesamtleitung, Tanzleitung); Else Schmidt (Tanzleitung,
Gastreferentin); Robert Althauser, Hildegard Ringwald (Tanzleitung);
Johanna Wech (Singleitung); Holger Frietsch, Marlies Armbruster, Ferdinand
Eisele (Musikanten); Martin Althauser, Irene Danner (Organisation)
und Daniela Regener (Kinderbetreuung). Der nächste Höhepunkt
ließ auch nicht lange auf sich warten, das 23. Bodensee Volkstanzfest
am Dreikönigstag in der Festhalle in Frickingen mit der Allgäuer
Vierarmuseg. Aufgespielt wurden einfache kleine Tänze welche
kurz vorgezeigt wurden, sowie Rundtänze wie Walzer, Schottisch,
Rheinländer, Ländler, Polka und Zwiefacher. Begonnen wurde
das ganze Spektakel mit dem Auftanz und einer kurzen Ansprache der
Vorsitzenden der Heimatzunft b.-W. e.V., Susanne Schmidt. Also von
A wie Auftanz bis Z wie Zwiefacher war alles dabei. Als besondere
Einlage gaben die Kinder Ihre Tänzle zum Besten. Auch eine unserer
Arbeitsgruppen präsentierte Ihr erlerntes Können. Sie ließen
die Fahnen schwingen, fliegen und kreisen. Zudem gab sich der beste
Hänsele (Narrenfigur) aus Überlingen die Ehre und ließ
die Karpatsche schnellen. Langsam neigte sich die Woche schon wieder
dem Ende zu, und alle waren gespannt wer sich dieses Jahr wieder einen
Beitrag zur Unterhaltung des Abschlußabends ausgedacht hat.
Es waren wieder ganz tolle Sachen dabei, die das Leitungsteam und
diverse Teilnehmer, die durch die Woche etwas witzig aufgefallen sind,
auf die Schippe genommen haben. Der Tag der Abreise war nun leider
gekommen, ein letztes Mal zusammen gefrühstückt, schnell
die Koffer gepackt um nun noch kurz ein paar Worte des Dankes an die
Herbergseltern los zu werden, anschließend kam eine lange und
ausdauernde Abschiedszeremonie, die fast zwei Stunden dauert, und
ich weiß nicht wieviel Liter Tränen kostete. Ab nach Hause,
schnell ins Bett und dann ausschlafen.
Was macht nach dem ersten Mal süchtig, nach zwei Tagen high und
die Entzugserscheinungen dauern 357 Tage?
D I E Ü B E R L I N G E R V O L K S T A N Z W O C H E
Steffi Hahn
Glanzvolle Premiere in Fellbach
Überwältigende Resonanz beim ersten „schwäbische
mund.art e.V. - Abend“ in Fellbach
Nach einem zunächst mickrigen Kartenvorverkauf entwickelte sich
die Debütveranstaltung des schwäbischen mund-art e.V. zum
absoluten Highlight: ausverkauftes Haus im Fellbacher Parkrestaurant.
Enttäuscht waren nur jene, die wegen Überfüllung (selbst
Fensterbänke und Heizkörper waren restlos belegt) keinen
Platz mehr ergattern konnten. Wer den Abend erleben durfte, war begeistert.
Elf Künstler in rascher Folge, kurzweilig, spannend, abwechslungsreich,
demonstrierten die Vielseitigkeit der schwäbischen Muttersprache.
Das ließ sich auch der Fernsehsender SWR nicht entgehen und
berichtete in der Landesschau von dem gelungenen Abend und den Zielen
des Vereins. Hervorragend moderiert wurde der Abend von Wulf Wager,
der mit seiner Gruppe "Stäffelesgeiger & Bloskapell"
auch die musikalische Eröffnung des Programmes gestaltete. Souverän
und routiniert stellte er jeden Künstler, aber auch die Ziele
und Aufgaben des Vereins vor. Es wurde herzhaft gelacht, tiefsinnig
geschmunzelt und beipflichtend gelächelt. In der Mundart - das
war allen Künstlern gemein - kommt man schneller auf den Punkt,
werden Dinge unverblümt angesprochen und zeigen sich Charakterzüge
die sonst im Verborgenen blieben. Auch die eine oder andere wahre
Begebenheit erfährt in Reimform eine liebevolle Betrachtungsweise
schwäbischer Winkelzüge. Zu den Meistern dieses Fachs gehören
sicherlich Paul Gerlach aus Pleidelsheim, Walter Krämer aus Echterdingen
und Erwin Haas aus Göppingen. Die "Wendlinger Sackbendl
Kommede" spielte ihren Sketch derart eindrücklich lebhaft,
daß darunter sogar die Bühne litt. Später auftretende
Künstler mußten befürchten, in einem Loch einzubrechen.
Musikalische Beiträge mit melancholischen Zügen gestalteten
der Backnanger Liedermacher Rolf Preßburger und Karl Glasstetter
aus Owen an der Teck.
Der Bodensee-Alemanne Klaus Dieter Reichert verband den alemannischen
Fasnetsbrauch "Maschkara" mit einer ebenso amüsanten
wie hintergründigen Geschichte und schloß bei der Betrachtung
eines Tausendfüßlers mit der rhetorischen Frage: "
... braucht mer für's Gleichschrittfuaßle - braucht mer
do so wenig Hirn?" Der Herrenberger Dr. Wolfgang Wulz widmet
sich der Erforschung von Spitznamen schwäbischer Ortschaften
bzw. deren Bewohner und stellte dies mit heiteren kleinen Beispielen
vor, die einem sicherlich wieder in den Sinn kommen, wenn man die
eine oder andere Ortschaft erwähnt.
Schwäbische Mundart dient aber nicht nur dazu, ein Publikum zu
erheitern. Sie ist auch eine überaus differenzierte und geeignete
Sprache, für nachdenkliche und tiefgründige Betrachtungen.
Bernhard Kurrle aus Feuchtwangen und Hanno Kluge aus Böblingen
sind solche feinsinnigen Beobachter "begnadete Wortkünstler
auf der Tastatur des Schwäbischen", wie sie in einer Pressekritik
zum Fellbacher mund.art-Abend gelobt werden.
Ein absolut gelungener Abend in mehrerlei Hinsicht; ein ausverkaufter
Saal, Beachtung bei Presse und TV, eine gelungene Präsentation
der Vielseitigkeit an aktiven Künstlern des Vereins (die übrigens
alle umsonst gespielt haben, um der Vereinskasse Spielraum für
weitere Vorhaben zu geben) und ein zufriedenes Publikum haben gezeigt:
Es ist eine Gnade in der eigenen Sprache zu Hause zu sein.
Aus: Schönes Schwaben 3/99
Landes-Hackbrett-Bund gegründet
HZ-Volksmusikreferentin Monika Spieß ist Vorsitzende
Schon lange hat es sich angekündigt, daß die Hackbrettspieler
im Land - immerhin rund 300 an der Zahl - einen eigenen Verband gründen
wollen. Das ist nun geschehen. Nachdem sich die Hackbrettspieler alljährlich
seit sieben Jahren beim Seminar des Landesmusikrates in Balingen getroffen
haben, wurde nun unter der Triebfeder von Inge Goralewski-Huber von
der Volksmusik Oberer Neckar und der Musiklehrerin Monika Spieß
von den Stäffelesgeigern der Landes-Hackbrett-Bund Baden-Württemberg
e.V. gegründet. Der Zweck des Vereins ist laut Satzung die Förderung
des Musizierens auf dem Hackbrett, die Schulung von Hackbrett-Ausbildern,
die Aus- und Fortbildung von Hackbrettspielern, Kontaktforum für
Hackbrettspieler und -freunde, Heruagabe von halbjährlichen „Hackbrett-Informtionen“,
der Unterhalt des „Landes-Hackbrett-Ensembles“ sowie die
Verbreitung und Forschung der Hackbrettgeschichte und Literatur. Der
Verband hat seinen Sitz in Trossingen. Am 13. Februar erfolgte die
Gründung in Rastatt.
Infos gibt`s bei: Inge Goralewski-Huber, Schützstr. 2, 78647
Trossingen, Tel. 07425/31610 (stellv. Vorsitzende) ww
Jürgen Hohl vom Land geehrt
In feierlichem Rahmen wurde der oberschwäbische „Trachtenpapst“
Jürgen Hohl aus Eggmansried am 24.4.99 von Ministerpräsident
Erwin Teufel mit der Verdienstmedaille des Landes Baden-Württemberg
ausgezeichnet. Gemeinsam mit Jürgen Klinsmann, Anne Sofie Mutter
und 27 weiteren verdienten Menschen erhielt Hohl diese Auszeichnung
für seine zahlreichen richtungsweisenden Arbeiten im Bereich
Trachtenforschung und -rekonstruktion sowie für seine restauratorischen
Arbeiten an den oberschwäbischen Weihnachtskrippen.
DER HEIMATPFLEGER gratuliert herzlich!
Internet und Volkstanz unter einem Dach
Das Archiv für schwäbische Kultur in Balingen
Moderne Datenverarbeitung und schwäbische Volkstänze
- im Haus der Volkskunst in Balingen sind das keine Widersprüche.
Außer dem Wandern und dem Naturschutz hat sich der Schwäbische
Albverein der Pflege der traditionellen Kultur verschrieben.
Oben in ihrer kleinen holzvertäfelten Kammer sitzt Petra Hauschke
am Computer und bearbeitet einen Artikel aus den Albvereinsblättern
von 1899. Interessierte Laien und Wissenschaftler sollen sie später
einmal im Internet aufrufen können. Die EDV-Spezialistin ist
über ihr Hobby, den Volkstanz, zum Schwäbischen Albverein
gekommen.
Zusammen mit der ABM-Kraft Gisela Eppler verfolgt sie in ihrer Freizeit
ein ehrgeiziges Projekt: seit sechs Jahren werden im Haus der Volkskunst
im Balinger Stadtteil Dürrwangen Seite um Seite der seit 1892
erscheinenden Albvereinsblätter gescannt und wie in einer modernen
Bibliothek mit einem praktischen Index versehen. "Wir fragen
uns dabei immer, wie der Nutzer denkt", erklärt Petra Hauschke.
100 000 Mark sind für dieses Mammutprojekt nötig, sie wurden
über Spenden finanziert. Die Gruppe um den Vereinsfunktionär
Manfred Stingel ist jetzt schon bis ans Ende der vierziger Jahre gelangt.
Es ist geplant, anschließend auch die Blätter des Schwäbischen
Heimatbundes hinzuzufügen. Parallel dazu wird ein Volksliederarchiv
eingerichtet. Notenblatt, Text und Melodie werden elektronisch gespeichert
und können so bequem an die Tanz- und Chorgruppen des Albvereins
abgegeben werden.
10 000 der 120 000 in 570 Ortsgruppen organisierten Albvereinsmitglieder,
schätzt Stingel, machen bei dieser Art der Freizeitgestaltung
mit. Das Team der Folkloreforscher holt sich historische Aufnahmen
aus dem Archiv des ehemaligen Süddeutschen Rundfunks, brennt
sich eigene CDs, die es dann wiederum in sein elektronisches Archiv
einspielt. Höchste Zeit, daß das passiert, meint Stingel.
"Die Schwaben pflegen ihre Kultur nicht", klagt der 55jährige
Vorsitzende des Volkstanzrates, der wie fast alle im Dürrwanger
Haus ehrenamtlich tätig ist. Und ein drittes Projekt steht an:
die Erfassung aller württembergischen Trachten mit farbigen historischen
Abbildungen und detaillierten Beschreibungen.
"Wir gehen so schnell wie möglich ins Internet", sagen
Hauschke und Stingel. Hier in Dürrwangen soll die zentrale Umschlagstelle
für schwäbische Kultur werden. Doch schon heute ist das
ehemalige Rathaus ganz praktisch mit der Kulturarbeit befaßt.
Denn während Petra Hauschke zwischen Stapeln von Fotokopien am
Bildschirm sitzt, werden nebenan in der geräumigen Gaststube
die Betten an die Seminarteilnehmer verteilt.
Gut 50 junge Leute sind an diesem Wochenende gekommen, um sich in
drei Seminaren mit hochkarätigen Lehrmeistern weiterzubilden
- die Themen hören sich freilich exotisch an: Fahnenschwingen,
Schwegelpfeifen und Trommeln stehen auf dem Programm. "Jedes
Wochenende ist hier was los", erklärt Stingel. "Unser
Haus ist ausgebucht."
Die Kurseinnahmen helfen mit, das Haus zu unterhalten. Es wurde von
1980 bis 1986 in Eigenarbeit renoviert. Wo früher der Farrenstall
stand, schwingen jetzt die Tanzgruppen die Beine. Es gibt zwar einen
Zivildienstleistenden als Hausmeister und einen Koch auf 630-Mark-Basis.
Doch bewirtet werden die Gäste reihum von ganz normalen Albvereinsmitgliedern.
An diesem Tag schenkt Brigitte Kappe mit ihrem Mann Kaffee aus und
verteilt Apfelkuchen. "Das internationale Programm gefällt
mir sehr hier", sagt sie und verweist auf die vielen Souvenirs
und Plakate aus aller Welt, die dem großen rustikalen Raum alles
Verhockte und Heimattümelnde nehmen. "80 ausländische
Gruppen haben uns hier schon besucht", sagt Stingel stolz. Die
Schlafstuben, knarrende und mit Holz verkleidete niedrige Zimmer unterm
Dach, tragen Namensschilder. Sie heißen Kansas City, Kobe, Warschau
oder Krim. Ein Trupp von Teenagern verläßt das Haus in
Richtung Turnhalle, wo sie das Fahnenschwingen üben wollen.
Beate Sutor aus Böblingen hat sich angemeldet, um einmal die
altertümliche hölzerne Querflöte, die Schwegelpfeife,
auszuprobieren. Vielleicht wäre das ja ein Instrument für
sie. Heino Pingel ist sogar aus Erlangen ins Württembergische
gefahren. Er macht beim Trommelworkshop mit, den der studierte Schlagzeuger
Walter Stegmaier gibt. Übrigens wird auf Vesperbrettchen geübt,
"sonst wären wir alle nach einer Stunde taub". Weder
Sutor noch Pingel ist Vereinsmitglied. Das müsse man auch nicht
sein, sagt Stingel.
Unten im Tanzsaal macht Matthias Fischer mit seiner bunt gemischten
Flötengruppe erst einmal Atemübungen. Ein paar zarte Mädchen
sind dabei und auch eine Mutter mit ihrem Säugling. Von wegen
"Rentnerklub Albverein". Im Haus der schwäbischen Volkskultur
gibt es übrigens auch eine ganz normale Disco. "Aber die
benutzen nur die ganz Jungen, und die auch nur kurz", sagt Stingel.
"Denn Livemusik und Selbertanzen ist auf Dauer halt interessanter."
Das Programmheft mit den Kursen und Veranstaltungen ist zu beziehen
über : Haus der Volkskunst, Ebinger Str. 56, 72336 Balingen.
Tel. 0 74 33/ 43 53, Fax 38 12 09. Eine Homepage gibt es noch nicht.
Aus: Suttgarter Zeitung vom 17.03.99
Was prägt die Sachsen?
Leipziger Forscher suchen die Wurzeln regionaler Identität
An der Leipziger Uni startet ein spektakuläres Millionenprojekt,
das erforschen soll, wie Heimatverbundenheit entsteht. Die Sachsen
gelten dafür bundesweit als exemplarische "Eigenbrötler".
Der Sachse an sich ist ein legendenumwobenes Wesen. Die Zahl jener
im übrigen Deutschland, die sie bewundern ob ihrer steten Umtriebigkeit,
ist mindestens ebenso groß wie die jener, die sie beneiden oder
auch belächeln, vor allem wegen ihrer schlabberigen Aussprache.
Dies ist ein Widerspruch, auf den sich die Sachsen bis heute selbst
keinen rechten Reim machen können, jedenfalls keinen wissenschaftlich
tragfähigen.
Schon immer hielten sie ihre Heimat für ein deutsches Kernland.
Das war vor 1000 Jahren so, als sie die ersten beiden Kaiser stellten,
und ebenso in der DDR - aber keineswegs wegen des in Leipzig geborenen
Walter Ulbricht. Wenn Sachsen - das damals in die Bezirke Dresden,
Karl-Marx-Stadt und Leipzig aufgeteilt war - Schnupfen kriege, überkomme
die Republik eine Grippe, hieß es. Mithin war es undenkbar,
daß die Wende im Herbst 1989 woanders losgegangen wäre
als in Leipzig und Dresden, Plauen und Zittau.
Die Sachsen hätten es immer ein bißchen leichter gehabt,
das unterstellen Insider dem Volksstamm. Ihre Sprache wie ihre wohl
nur noch den Schwaben vergleichbare bodenständige Mentalität
spielten dabei eine wesentliche Rolle. Zwei Grundpfeiler, auf die
sich bis heute sächsische Identität gründet. Was daran
Mythos ist und was belegbare Realität, darüber streiten
Gelehrte seit Jahrhunderten. Denn auch in anderer Hinsicht nehmen
die Sachsen seit 150 Jahren einen traurigen Spitzenplatz ein: bei
den Selbstmorden. Etwa drei Menschen nehmen sich auch heute im ostdeutschen
Freistaat Tag für Tag das Leben. Die Gründe dafür sind
völlig unklar. Möglicherweise liege es daran, mutmaßen
Forscher seit langem, daß die Sachsen seit Luthers Zeiten Protestanten
seien.
Um diesem Zwist ein Ende zu bereiten, startete jetzt an der Universität
Leipzig ein spektakuläres Forschungsprojekt. 30 Wissenschaftler
verschiedener Fachrichtungen der zweitältesten deutschen Alma
mater begeben sich mit großem Aufwand auf die Suche nach den
Wurzeln sächsischer Identität.
Insgesamt 1500 Sachsen, repräsentativ ausgewählt in der
alten Handelsstadt Leipzig sowie im Landkreis Mittleres Erzgebirge,
werden dazu in drei Wellen interviewt: 2000, 2004 und erneut 2008.
Ergründen sollen die Befragungen vor allem Wertvorstellungen,
Traditionsgefühl und die Verankerung in der unmittelbaren Heimat,
erläutert Professor Heinz-Werner Wollersheim. Das Projekt soll
letztlich verallgemeinerungswürdige Thesen auch für andere
Landsmannschaften zu Tage fördern. Dazu richtete die Deutsche
Forschungsgemeinschaft (DFG) an der Leipziger Uni einen von Wollersheim
geleiteten Sonderforschungsbereich ein.
Herausfinden wollen die "Saxoniker" beispielsweise, was
eine Region zur Region macht und weshalb deren Bedeutung derzeit wächst.
Antworten erhoffen sie sich auch auf die Fragen, wie sich in den Köpfen
der Leute regionale Identitätsmuster herausbilden können
und wie sich diese steuern oder beeinflussen lassen. Es sei immer
noch unklar, woraus die oft unverlierbare Verbundenheit der Bewohner
mit ihrem unmittelbaren Lebensraum entstehen, sagt Wollersheim.
Landläufig immer wieder aufgeführte Ursachen für regionale
Identität, wie Heimatliebe, gemeinsame Geschichte, gleicher Dialekt
und ähnliche Lebensumstände, greifen für die Forscher
zu kurz. Denn die sozialen Beziehungen der Leute zueinander, ihr spezifisches
Fühlen, Denken und Handeln, würden hierbei nur als Momentaufnahme
beleuchtet, nicht aber als Prozeß. Wollersheim erwartet das
unsichtbar einigende Band eher in einer bestimmten Sinnordnung, das
durch gemeinschaftliches Erleben und Mitgestalten gefördert wird.
Also wollen die Interviewer herausfinden, was die Sachsen an ihre
Heimat bindet und unter welchen Umständen sie diese verlassen
würden - oder auch nicht.
Selbst in Schulbüchern und Behördenarchiven fahnden sie
nach Indizien für das Entstehen sächsischer Selbstfindung
seit der Reformation. Untersuchungen finden überdies zum Konsumverhalten
sowie zu den lukullischen Neigungen und Schwächen des Menschenschlages
statt, der gemeinhin als Kaffeesachsen firmiert. Ob sich ein stärker
regionalbezogenes Verbraucherbewußtsein, wie seit je in Bayern
oder im Schwarzwald zu beobachten, künftig auch in Sachsen identifikationsstiftend
niederschlägt, ist einer der zu klärenden Aspekte.
"Sachsen bot sich exemplarisch an, weil trotz politischer Umbrüche,
territorialer Veränderungen und steter Weltoffenheit die Verwurzelung
der Bürger immer fortbestand", so Wollersheim. Seit Jahrhunderten
werde hier "Eigenes und Fremdes sehr stark betont", und
trotz des im Verlaufe der Jahrhunderte wechselnden Zuschnitts der
Landesgrenzen sei nie das "sächsische Übereinstimmungsgefühl"
verlorengegangen.
Aus: STZ vom 03.03.99
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