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„Am Schluss no kummet die Schönste“

von Michael Joseph Heinrich Zimmermann

„Am Schluss no kummet die Schönste, hei, dös isch e suberi Sach. / De Wuescht mit sirä Grätze, jetz guck au wie älles lacht!“
Michael Zimmermann ist Volkskundler und Honorarprofessor an der Universität von Tel Aviv. Er lebt in Villingen-Schwenningen.
So beginnt die fünfte Strophe des Villinger Schunkelliedes, die dem Wuaschtrennen in der Zähringerstadt an der Brigach gilt. Umstritten ist, woher diese feiste Fasnachtsgestalt ihren Namen hat. Umstritten, unbekannt und verkannt ist meist die traditionelle Rolle, die ihr zugedacht ist. Wir wollen dem geheimnis-umwitterten Wuascht deshalb schrittweise sprachwissenschaftlich „zu Leibe rücken“.
„Am Schluss no kummet die Schönste!“ Die Schönsten? Kaum einem muten die Wuascht hübsch an. Weder wohlgestalt noch würdevoll ziehen sie einher. Franz Kornwachs, der Autor des Schunkelliedes, hat sich wohl einen Scherz erlaubt, indem er das Gegenteil des Gesagten meint. ‘Wuescht’, das hat wohl mit ‚wüst’

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Heimat in der Moderne: Wuaschtjagen heute. Von der Zunft bereitgestellte Tannenzapfen ersetzen Schneebälle, Eisschollen, Wackersteine; die von der Stadtjugend vertriebenen Vielfraße brauchen sich daher nicht mehr gegen Steinschlag mit Kopfkissen zu schützen.

zu tun, denn wüst ist sein abgetragenes Narrohäs, wüst sind die alten Schemmen, wüst die Besen in der rechten Hand, und wüst und derb sind auch die alten Sprüche, die die Wueschtgruppe immer wieder in die Menge ruft“, mutmaßt Gerd Jauch. Mit dieser Herleitung steht der Autor des Fasnetsfilms „Narri-Narro“ in einer langen Tradition von Albert Fischer (1926) über Wilhelm Kutter bis Brigitte Bürk, die den „Wuascht“ mit dem „Wüsten“ gleichsetzen. Noch Martin Blümcke teilt diese Ansicht: „Den Schluß der Villinger Narrenumzüge bilden die Wuescht, die Wüsten. ... Sie haben verwaschene und geflickte Narrohäser übergezogen, deren Hosen so prall mit Stroh ausgestopft sind, dass sie kaum noch laufen können. Wie zum Schutz werden alte Narro- oder Surhebelschemen mit der Hand seitlich vor das Gesicht gehalten. Auf dem Rücken wird an Riemen ein Brett getragen, die Krätze, mit einer ... Lumpenpuppe. Gegen dieses Brett haben früher die Kinder und Jugendlichen Steine und Schneeballen geworfen, wenn die Wuescht ihre Besen nach oben hielten. Seit 1976 werden von der Zunft am Straßenrand Tannenzapfen als Wurfgeschosse bereitgestellt. Mit dem Verbrennen des Strohs der Wuescht am Fasnachtsdienstag um Mitternacht findet die Villinger Fasnet ihr Ende.“ Diese Beschreibung von Brauchgestalt und -ablauf verdient Respekt, zumal sie sich willkürlicher, hartnäckiger Sinndeutungen enthält, abgesehen von der Herleitung des Namens. Denn wie könnte der „Wuascht“, wie ihn Anton Birlinger vor über 120 Jahren im zweiten Band seines Werkes „Aus Schwaben“ in mundartlich korrekter Schreibung festhielt, den „Wüsten“ bezeichnen? Der Villinger Dialekt steht einer solchen Deutung im Wege: „Wuascht“ ist eben nicht „wiascht“. Über diese Ableitung nachzudenken lohnte sich allenfalls, gäbe es den Plural „Wüescht“, den Albert Walzer und Dieter Lutz anführen und von dem sich gar der Bogen spannen ließe zu dem im oberen Neckarraum belegten „jemandem wüsten“ im Sinne von „einem wüst sagen“ – und „strählen“ können die Wuascht recht „wiascht“. Allein, diese Form der Mehrzahl kennen die Villinger nicht.

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Wuaschtgruppe mit Butzesel und Treibern 1932

Führt uns der sprachwissenschaftliche Ansatz in die Irre? Stehen wir vor einem philologischen Rätsel? Gewiss. Noch. Unlösbar aber ist es keinesfalls. Es hat den Reiz, einer vernünftigen Deutung des Wuascht zu ihrem Recht zu verhelfen.
In seinem Buch „Land um die junge Donau“ stellt der Donaueschinger Heimatschriftsteller Max Rieple eine interessante Gedanken- und Wortverbindung her, die ihm beim Anblick der Villinger Fettwänste in den Sinn kommt: „Die Wueschte aber sind ganz darauf eingestellt, mit Schnee, Steinen und Eisbrocken beworfen zu werden. Deshalb ist ihr Häs so dick mit Stroh ausgestopft, dass sie wie Würste wirken.“ Diese Assoziation stellte sich bei ihm nicht als Erstem ein. Schon vor über 60 Jahren schrieb Albert Walzer in einem Aufsatz über die Maskenformen der schwäbischen Fasnacht: „Die Villinger ‚Wüescht’ haben diesen Namen doch wohl, weil sie wie die Wursthäute ausgestopft sind.“ Erscheint der Wuascht mithin als „Hans Wurst“, als jene Personifikation des

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Der Wuaschtvaddr fühlt sich bärenstark, wenn er seine Bärenmaske umgebunden hat.

Narrentums, die auch auf dem Narrohäs wiederzufinden ist, wo der Hans eine Wurst zum Zeichen der fleischlichen Begierden in Händen hält? Ist er nichts anderes als ein Überbleibsel aus dem jahrhundertealten Spiel des Kampfes der Fasten gegen die Fastnacht, die er symbolisiert, während sein(e) Gegenspieler(in) spurlos verschwand? „Im Zusammenhang mit dem Karnevalsbrauchtum können wir uns die Namen einiger berühmter Clownsgestalten erklären: ‚Hans Wurst’ war sicher eine Karnevalsfigur mit einer Wurst, während ‚Pickelherring’ und ‚Steven Stockfish’ ausgemergelte Fastenzeitstypen darstellen sollen“, vermutet der englische Historiker Peter Burke.
Die schlechteste Deutung des Wuascht scheint dies wohl nicht, darf der Hanswurst, deutscher Prototyp der komischen Figur, doch als Spaßmacher, Vielfraß, Kraftmeier und Schürzenjäger gelten. Erstmals taucht sein Name in Hans von Getelens Rostocker Bearbeitung von Sebastian Brants Bestseller „Das Narrenschiff“ aus dem Jahre 1519 auf: „Hans worst“ steht für den aufschneiderischen Narren. Meist meint die Bezeichnung aber den linkischen Dickwanst, dessen Gestalt einer Wurst gleicht, den Narren auch in geistigen wie geistlichen Dingen.
Ein solcher ganz der Welt ergebener Narr fügt sich gut in die Fasnet: Als „Hans Wuost“ begegnet er uns in Aixheim, unweit von Villingen – und von „Wuos(ch)t“ zu „Wuascht“ scheint der Weg nicht weit. In die richtige Richtung scheint er uns zu führen; verwundern könnte auch die lautstark vorgebrachte Forderung des Vielfraßes nach stets neuer Nahrung keinesfalls: „Wuascht, Wuascht, Wuascht!“
Mit diesem Auslegungsversuch bewegen wir uns zumindest auf geschichtlich gesichertem Boden, die Interpretation ist schlüssig und fügt sich in die Tatsache, dass in der Fastnacht als der Nacht vor dem Fasten der Fettlebe noch einmal gehuldigt wurde. Allein dadurch ist sie einer Deutung überlegen, die immer noch in nicht einmal sagenumwobene, dunkle germanische Vorzeiten flieht. Noch heute gibt es Laien wie Gelehrte, die gläubig den Mythos von der Fasnet als altdeutschem (?) Brauch der Wintervertreibung nachbeten.

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Eine Scheme, wie der Wuascht sie tragen mag; nicht hochklassig, alt, gerissen und gesprungen – und doch ein hölzernes Zeugnis alter Villinger Fast-nachtstradition.

Dazu stilisier(t)en sie auch das Wuaschtrennen willkürlich, so dass nicht viel daran fehlte, den Wuascht zu einer Strohfigur zu erklären, die den Tod, den Winter, das Abgestorbene symbolisiere und die aus einer Laune der Ortsbevölkerung heraus belebt und mit einem Narrengewand versehen worden sei. Dass eine solche Deutung weder in Lucian Reichs „Hieronymus. Lebensbilder aus der Baar und dem Schwarzwalde“
(2. Auflage, 1876) noch bei Anton Birlinger begegnet, verwundert bei deren gewissenhafter Vorgehensweise kaum. Selbst Albert Fischer, der sich der damals herrschenden Gelehrtenmeinung in der Nachfolge des romantischen Mythologismus sehr aufgeschlossen zeigt und die Fasnet als germanisches Frühlingsfest begreift, lässt den Wuascht mit dem grassierenden Germanenfieber unbehelligt und liefert eine wertvolle Brauchbeschreibung aus eigenem Erleben. Das hielt Spätere nicht ab, die Theorie von der Fasnacht als Restbestand alter Winteraustreibungs- und Fruchtbarkeitskulte im Sinne der germanischen Kontinuitätsprämisse auch auf die Wuascht anzuwenden, was innerhalb des Gedankensystems nur konsequent war, aber auch unbeweisbar und unbewiesen. Beides schien kein Hindernis in einer Zeit, da die Germanentheorie vom Nationalsozialismus ideologisch in Dienst genommen wurde; in einer Zeit, da Hermann Eris Busse im Brauchtum „das Zuchtgesetz der Volksseele, aus dem Instinkt geboren,“ erkannte, weshalb neben das wissenschaftliche Argument durchaus gleichberechtigt, wenn nicht gar höherrangig manches treten musste, was „wir ... im Gefühl haben und im Blut“. In den „Tagen der Auferweckung und der Besinnung Deutschlands auf seine Volkstumskräfte“ konnte der badische Bauerndichter und Volksschullehrer im Geiste der Partei, der Zeit und der Lehrpläne fühlen, „daß wir es gerade beim Fasnachtsbrauchtum mit kultischen Erbresten aus germanischer Zeit zu tun haben“. Dieses zu erhalten war für das „neue Deutschland“ nach 1933 lebenswichtig, denn „diesen Urtrieb zerstören hieße dem Volk die Spur des Weges zur Schöpfung verwischen, es seiner Erneuerung berauben. Brauchtum ist die innere Sprache des Volkes, ausgedrückt in schaubaren Sinnbildern“.

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Ist das dem Ölmüller Dominikus Ackermann zugeschriebene Morbili mit der Villinger Narrenmutter in Verbindung zu bringen, deren Trauer am Aschermittwoch dereinst herzzerreissend gewesen sein soll? Möglicherweise.

Und zu einer solcherart bestimmten Bildgebärde sollte nun auch das Villinger Wuaschtrennen werden: „Er [der Wuascht] muss etwas aushalten können; denn er rennt im Rudel, was er kann, durch Villingens Gassen und Tore, der böse Geist des Winters, der ausgetrieben wird, hinter ihm her die Kinder, die mit Schneeballen, Eisstücken, Steinen nach ihm werfen ...“
Die unbeweisbare und scheinbar unüberprüfbare These hielt sich weit länger als das „tausendjährige Reich“, dem Busse zu dienen angetreten war. Johannes Künzig hielt 1950 noch fest – und noch dreißig Jahre später „keine sachlichen Veränderungen für erforderlich“: „Eindeutig handelt es sich um das altüberlieferte Winteraustreiben; auch der Reisigbesen in der Hand des Wuescht paßt dazu.“ Warum, erfahren wir nicht. Und Wilhelm Kutter lässt 1976 verlauten: „... der Wuescht ... ist der Wüste, der Winter, der mit Schneebällen und Steinen aus den Straßen gejagt wird. Er steckt in seinem alten Narrohäs, dessen Hosen dick mit Stroh ausgestopft sind. Eine alte Narrolarve hält der Wuescht schützend vor sein Gesicht. Auf dem Rücken hängt ein schildartiges Brett, an dem die kleine Winterhex baumelt.“ Ist der Brauch erst einmal von Akademikern als Winteraustreibung gedeutet, wird von anderen Gelehrten und Halbgelehrten (in)konsequent weitergedacht: Der Besen wird zum passenden Attribut in der Hand des Wintersymbols, die Lumpenpuppe, die im Übrigen nicht seit alters das Brett des Wuascht ziert, zur Winterhex und die auf sie zielen zu Vertretern des Frühlings.
Dick trägt Max Rieple auf: „Vieles im Fasnachtstreiben kommt aus der Frühzeit der Menschheit. So ist sicher der Fuchsschwanz, der an der Hanselmaske hängt, Fruchtbarkeitssymbol, und mit den Besen, wie sie die Villinger ‚Wueschte’ in Händen tragen, wird der Winter hinausgekehrt. Der Kampf zwischen dem Lenz und den winterlichen Dämonen tritt hier symbolhaft zu Tage.“ Der Winter fegt sich selbst hinweg? Da führt sich die These schließlich ad absurdum, die „hinweggefegt“ werden sollte, wo sie keck ihr Haupt erhebt.

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Not macht erfinderisch: Nach dem Ersten Weltkrieg behalfen sich Männer, die gern als Wuascht „uff d’Gass“ gingen, aber sich keine hölzernen Larven leisten konnten, mit selbst gefertigten Larven aus verkleistertem Zeitungspapier, das bemalt wurde.
 
(Narrenschopf Bad Dürrheim;
Zentralarchiv der Vereinigung Schwäbisch-Alemannischer Narrenzünfte).

Reinhard Wais schreckte nicht vor einer solch radikalen Maßnahme zurück: Sie „ziehen ... schwerfällig mit dem schaurigen Ruf ‚Wuescht’ in großen Gruppen durch die Straßen. Meist werden sie in Zusammenhang mit dem Winteraustreiben gebracht. Merkwürdig an dieser Gestalt ist, daß sie weder Schabernack treibt wie etwa der Putz-esel, noch rügende Funktionen hat wie etwa der Narro; sie spielt eine reine Statistenrolle, die sich aufs Besenschwingen und Wueschtrufen beschränkt. Diese Rolle scheint gar nicht recht in die Bewegtheit und Beweglichkeit der Fastnacht zu passen; sie ist dafür zu schwerfällig. Wenn man dies bedenkt, so fällt auf, daß der Wuescht in den bekannten Fastnachtsverboten nicht genannt wird, zumal ihm ja so etwas ‚sagenhaft Heidnisches’ anhängt. Das drängt den starken Verdacht auf, daß er vielleicht überhaupt erst im Zusammenhang mit einer germanischen Archäologie aufgekommen ist. Daneben erlaubt es die Art der Vermummung, daß sich auch ärmere Bevölkerungskreise in den Fastnachtsmummenschanz einreihen konnten, als die ausgesprochenen Lumpenfastnachten aufkamen.“ Die Wais’sche Skepsis gegenüber der Deutung des Wuascht als einer Wintergestalt ist angebracht. Doch ist der Villinger Fettwanst lediglich die Ausgeburt „germanistischer“ Gelehrtenfantasie? Wohl kaum. Die Beschreibung Birlingers von 1874 spricht dagegen – und zwei Jahre später ist in Lucian Reichs „Hieronymus“ nachzulesen: „Die derben, mitunter anstößigen Späße und Possen der früheren Zeit, die rücksichtslosen Kundgebungen und verletzenden Persiflagen in Prosa und Versen sind überall verschwunden und haben löblicherweise einem harmloseren Humor das Feld eingeräumt; ebenso manche der unschönen, ständigen Figuren der alten Narrenbühne, wie zum Beispiel die ‚Hexe’ und der ‚Wuest’, die es mit ihren Besen in der Hand lediglich auf Scharmützel mit den Gassenbuben abgesehen hatten, sowie auch der wild sich gebärdende ‚Butzesel’, der stets von einer Anzahl Narros begleitet sein mußte, die ihn mit Peitschenhieben von beliebten Angriffen auf das namentlich ländliche Publikum abzuhalten hatten.“

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„Am Aschermittwoch ist alles vorbei.“ Der Wuascht wird in der Miste vergraben. 1914 (Bild) wurde dieser Brauch von Albert Fischer wiederbelebt.

Der Butzesel war tatsächlich im 19. Jahrhundert verschwunden und tauchte erst kurz vor dem Ersten Weltkrieg wieder auf; der Wuascht, den Albert Fischer in den 1750er Jahren noch am Morgen des Aschermittwochs herumspringen sieht, rettete sich ins 20. Jahrhundert; die Hexen aber verschwanden aus der Villinger Fasnet.
Von den traditionellen Besenschwingern blieb den Villingern bis zur Gründung der Südstadthexen-Gilde nur der Wuascht. Der aber gelangte in der Wissenschaft zu neuem Ruhm; denn kaum war besonders „gewitzigten Vertretern der Professorenzunft“ suspekt erschienen, in den Fasnachtsbräuchen nur die Anklänge an alte germanische Lärmumzüge zur Vertreibung der Winterunholde zu erkennen, wurde vereinzelt an das einstige Recht der Leprakranken in den Städten angeknüpft, am Rosenmontag Gaben zu sammeln. Dass Besenträger die Züge der Siechen begleiteten, gab Marianne Rumpf Anlass, solche im heutigen Volksbrauch aufzuspüren: „Das Wort kehren hat außerdem die Bedeutung der Reinigung, was ... mit den als ‚rein’ oder ‚unrein’ auszusprechenden Urteilen bei der Leprosenschau in Verbindung zu bringen ist. In Fastnachtsumzügen spielen noch bis zur Gegenwart in der alemannischen Fasnet ... ‚Masken’ mit Besen eine Rolle.“ Es folgt der Verweis auf die Villinger Wuascht, die mit ihrem Besen „den Weg freikehren“ – wobei dies an die Tätigkeit des Schwenninger Hudele (und seines Begleiters) erinnert, das in der Tradition der Hexle der Kinderfasnet stand, die sich spätestens in den 1930er Jahren zu ausgewachsenen Hexen entwickelten. Paul Goetze schreibt dazu: „Einen alten, eigenartigen Brauch hat man in Schwenningen neu aufgegriffen, hier gehen Narro und Stachi“, gemeint sind Hansel und Schantle, „in den letzten Donnerstagen vor Fastnacht abends durch die Wirtschaften, um aufzusagen, zu strählen. In ihrer Begleitung ist ein altes, hexenhaft gekleidetes Wesen, das ‚Hudele’. Voraus geht ein junger Bursche mit einem Besen. Er fegt die Straßen und trägt so seinen Teil am Vertreiben der bösen Dämonen, der Geister des Winters bei. Der Besen spielt bekanntlich in der Mystik der Alten eine Rolle, er ist der segenspendenden Lebensrute gleichzustellen. Ein Besen vor der Stalltüre oder vor dem Haustore wehrt noch heute den bösen Geist.“ Der Gedanke, dass der Besen das Böse und das Kranke hinwegfegt, ist bei den Besenopfern in Wallfahrtskirchen der gutkatholischen Teile Südwestdeutschlands noch heute lebendig. Doch an den „Hohen Tagen“, bei Hexe und Wuascht? Die Fasnacht als ein „Kehrtag“ in diesem Sinne? Das überrascht; eher ist sie doch das Fest vor dem Tag der Umkehr und der (inneren!) Einkehr, dem Aschermittwoch. Auf Spekulationen, die kaum weiterführen, sei hier verzichtet; Villingens „flotte Feger“ freilich sind die Wuascht – unbestreitbar.
Doch kehren wir zur vermuteten Verbindung von „Hanswurst“ und „Wurst“ zurück. Bereits Albert Walzer bezweifelte, dass Wuascht eine Abkürzung von Hanswurst sei, nicht aber die Herleitung von der „Wurst“. Dies wiederum erlaubt die Villinger Mundart kaum: Wurst ist und bleibt den Brigachstädtern „Wurscht“.
„Beera Beera Bischschile, Beera Beera Bluascht, / i hau’-amool a Schäzzle ghet, ezz hau’-n-e no an Wuascht.“ Kommt die Lösung unseres Problems aus Schwenningen, woher diese Verse stammen? Einst, so die Klage, hatte der vom Schicksal hart Getroffene einen Herzensschatz, jetzt nur noch einen „Wust“, (s)einen Dreck. Wuascht, soviel scheint auf einmal klar, hat mit dem mittelhochdeutschen „wuost“ (wobei in der Mundart das noch aus dem Althochdeutschen herrührende o zu a abdrunkelt), mit dem neuhochdeutschen „Wust“ zu tun, was Dreck, Unrat, Schmutz bedeutet. Ganz in diesem Sinne hat Albert Fischer den Spottnamen Wuascht für einen verstanden, der „ein besonders schmutziges Narrohäs ... anhatte oder sonst lotterig gekleidet war.“ Verdankt sich die rätselvolle feiste Fasnetsgestalt mithin dem Aufkommen regelrechter „Lumpenfastnachten“? Von Josef Fuchs vernehmen wir: „Interessant im ganzen, eine Figur, der Wuescht, der sicherlich nur aus der Struktur der Stadt mit Dependenzorten, den Dörfern, die zu ihr gehört haben, zu verstehen ist. Die soziale Rangordnung verbot es, z.B. den Bauern und Bauernsöhnen, an der Bürgerfasnacht ... des 17. und 18. Jahrhunderts teilzunehmen. Der Vermummte wurde verjagt und mit Steinen und Eis beworfen. Er wußte sich zu schützen, stopfte die Hose mit Stroh aus und schützte mit einem großen Brett seinen Rücken und Kopf.“ Ohne diese Aussage auf Quellen zu stützen, erhob Fuchs damit zur Doktrin, was sich aus zwei Stellen im Werk Albert Fischers kombinieren ließ, wo er sich mit den angeblich als Wuascht verspotteten und vertriebenen, dann doch wohl nur gelegentlich als solche erkennbaren Landhanseln befasst und wo er die ständige Figur der Villinger Fasnachtswelt beschreibt: (1) „... früher wurden [die Landhansel] sogar, besonders wenn sie ein schmutziges Narrohäs anhatten, mit dem Namen ‚Wust’ tituliert, verfolgt und mit Schneeballen ... beworfen ...“ (2) „Eine weitere Abart des ... Narro sind die ‚Wuste’; es sind dies in ein altes Narrohäs gekleidete Leute, mit einer alten La[r]ve, meist einen Surhebel vor dem Gesicht und mit einem

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Der Fettlebe müssen sich die
Villinger entsagen; der Wuascht entleert sich, entledigt sich des Strohs, das um Mitternacht in Flammen aufgeht. Schmalhans tritt seine Stelle als Koch an. Mit der Völlerei des Wuaschtes ist es jetzt vorbei – die Fastenzeit bricht an.

Besen in der Hand. ... Die Wuste erfreuen sich besonderer Beliebtheit bei der Jugend, weil diese das Vergnügen hat, die Wuste mit Schneeballen ... bewerfen zu dürfen. Um sich gegen Beschädigungen zu schützen, stopfen die Wuste ihre Kleidung mit Stroh aus, tragen auf dem Rücken die sogenannte ‚Krätze’...“ Josef Fuchs verbindet, was wohl nicht zusammengehört: „Man erklärt sich die ausgestopfte Kleidung [der Wuest] und den Rückenschutz durch Bretter dadurch, daß die Bewohner der umliegenden Dörfer Villingens abgelegte Narrenkleider, die nie billig waren, benutzten, um an der Villinger Fasnacht teilzunehmen, oft jedoch von den Villingern verjagt [und] ... beworfen wurden.“ Kann diese Erklärung des Wuaschts als des Narros schmutzigen Stiefbruders, der seine Entstehung dem sozialen Gefälle zwischen der Stadt und ihrem Umland verdanke, vor dem kritischen Auge bestehen? Wohl kaum.
Wuascht bezeichnet nicht nur den Schmutz und an-ekelnde Gegenstände, sondern in der Baar auch die widerwärtige, unflätige, garstige Person, den Ungenügsamen, der alles zusammenrafft; den Menschen, der unanständige Reden führt (wozu die oft bis an die Schmerzgrenze gehenden Wuaschtschprichli trefflich passen), den Vielfraß; kurz: „A Wuast – ein grober, ein unzüchtiger, ein unersättlicher Mensch im Essen“, wie in Hermann Fischers „Schwäbischem Wörterbuch“ zu lesen ist und wie er in dem Schwenninger Spottverslein gemeint sein kann. Das Geheimnis um den stets hungrigen Villinger Wuascht, dessen Krätze oder Brett, Relikt eines portablen Klapptischchens, einstens zum Zeichen seiner Lüste „gewöhnlich mit altem Tongeschirr behangen“ war, darf als gelüftet gelten.
Der wohlbeleibte Wuascht ist nichts anderes als ein den Freuden der Welt im Übermaß zugewandter Diener des Bauches und der Lenden, der sich ersatzweise auch mit Verbalerotik zufrieden gibt, ein Narr.
Mit ziemlicher Sicherheit gehört der Wuascht, der einst nur am Fasnachtsdienstag und bis in die Morgenstunden des Aschermittwochs hinein gerannt sein soll, als Symbolfigur der Fleischeslust zu den urtümlichen Gestalten der Villinger Fasnet, ja er „verkörpert“ sie sogar – bis er von der anrückenden Fasten vertrieben wird. Daher der Ruf: „Stukket [= schießt auf] der Wuascht!“; mit gezielten Würfen wird er aus der Stadt gejagt – geradezu eine Inszenierung der Bitte aus Philipp Georg Telemanns Kantate „Machet die Tore weit“: „Jesu komm in meine Seele, laß sie deine Wohnung sein. / Treib aus ihr der Sünden Wust, / Ehre, Geiz und Fleischeslust, / gönn ihr deiner Gnaden Schein.“ Am Aschermittwoch aber wurde der Feisteste der Villinger (als Strohpuppe) in der Stadtmiste vergraben. Das neuerdings durchgeführte Verbrennen des Strohs der Wuascht hat denselben symbolischen Aussagewert. Mit der Vertreibung des gefräßigen Wuascht geht alles zu Ende – auch unser Beitrag zu dieser Villinger Fasnachtsgestalt, die angesichts der ihr zugewiesenen Rolle beim Wuaschtjagen verständlicherweise nur abgelegte, verhältnismäßig wertlose Narrenutensilien verwendet.
 
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