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Geneigter Leser


 
selbst wenn man will, man kann sich nicht mehr entziehen. Seit ein paar Jahren tauchen sie nach der Ferienzeit in den Geschäften auf: Kürbisse in allen erdenklichen Variationen: Kürbisse aus Plastik, aus Steingut, aus Glas, in allen Größen und Formen. Eines haben sie gemeinsam: die Fratze, die aus dem Kürbis geschnitten ist, die so genannte Jack-o-Lantern. Bis in den letzten Winkel unseres Landes ist ein „neuer Brauch“ gedrungen: Halloween. Wieder einmal hat uns Amerika reich beschenkt. Seit der Befreiung vom Naziregime beglücken uns die USA regelmäßig mit kulturellen Care-Paketen. Mode, Musik, Wirtschaft und nun auch noch Bräuche. Obwohl, auf Bräuche hat die amerikanische Kultur (?) schon länger Einfluss genommen. So gibt es ja kaum noch richtige Nikoläuse und Pelzmärte mehr in Baden-Württemberg. Der Coca-Cola-Weihnachtsmann in den Corporate Design-Farben des Limonadeherstellers, rot und weiß, besucht unsere Kinder in den Kindergärten und bei den Vereinsweihnachtsfeiern und führt sie somit ein in das angestrebte Bild einer amerikanisch geprägten Globalkultur. Zweites Beispiel: Schauen Sie sich nur einmal die Masken der Krampuse in Osttirol und die der Perchten in Bayern an. In manchen Orten gibt es kaum mehr stilistische Anknüpfungspunkte an die Tradition. Diese Masken scheinen ebenso wie die Masken der „Tschäggätta“ im schweizerischen Lötschental gerade aus amerikanischen Horrorfilmen entsprungen zu sein. Sehen Sie selbst: www.masken.ch, www.krampusmasken.com.
 

Und jetzt drängt mit Macht Halloween zu uns. Selbst auf dem Hamburger Flughafen wurde ich am Autovermietungsschalter am 31. Oktober mit einem Schriftband „Happy Halloween“ begrüßt. Auf die Frage, was wir denn zu feiern hätten, erntete ich ahnungsloses Schulterzucken. In Stuttgart waren zig Halloween-Partys angekündigt. Jedoch titelte die Stuttgarter Zeitung am Tag danach: „Kaum ein Partyveranstalter weiß über die Herkunft Bescheid.“ Halloween sei der „neue Fasching“ war dort zu lesen. Im evangelischen Stuttgart hätten sich mehr Maskierte auf der Straße sehen lassen als zur Fastnachtszeit.
Manche meinen, dass Halloween von seinen Wurzeln her eine Mischung aus dem keltisch-heidnischen Samhain-Fest und dem christlichen Allerheiligen ist. Ungefähr 800 Jahre n. Chr. ernannte der Papst den 1. November, also den Tag nach dem 31. Oktober, zum Feiertag Allerheiligen, an dem der christlichen Märtyrer gedacht wurde. Das Fest am Vorabend zu Allerheiligen heißt auf englisch „All Hallows’ Evening“ oder umgangssprachlich „Hallows’ E’en“. Inzwischen sagt man in Amerika Halloween. Als irische Auswanderer nach Amerika gingen, nahmen sie Halloween mit. Aus dieser Zeit stammen die beiden Phänomene, die heute als Inbegriff von Halloween schlechthin gelten: Das eine ist der Spruch „trick or treat”, zu Deutsch „Süßes oder Saures”! Schon bald hatten nämlich die Kinder Amerikas Halloween für sich als Auszeit von der strengen Aufsicht der Erwachsenen entdeckt und zogen verkleidet von Tür zu Tür, um Süßigkeiten einzufordern. Wurden sie abgewiesen, wollten sie sich mit üblen Streichen rächen – so ihre Drohung. Das zweite Phänomen ist die Jack-o-Lantern, der ausgehöhlte leuchtende Kürbis. Mehr Infos zu den Inhalten und Wurzeln: www.halloween-im-rheinland.de.
 
Viele Kinder ziehen heute durch die Dörfer und Städte, aber wer geht noch althergebracht mit einem „Riabagoischt“?
Eine gigantische Industrie will mit Halloween Umsatz machen. Schon nehmen sich Narrenzünfte des Themas an und veranstalten Halloween-Partys, sozusagen als Herbst-Fasnet. Kommt vielleicht im nächsten Jahr schon das chinesische Neujahrsfest Ende Januar mit Drachen, Räucherstäbchen und China-Feuerwerk zu uns? Ich sehe im Geiste schon den „Gesangverein Eintracht Frohsinn 1864“ irgendwo auf der Baar oder im Schwarzwald dazu die Tänze und Lieder der Pekingoper einstudieren. Da könnten wir uns ja die Fasnet sparen und hätten mal wieder was Neues.
Ja, liebe Leut’, müssen wir denn jeden Schwachsinn mitmachen?
Zum Glück gibt es auch gesellschaftliche Gruppen, die sich dagegen wehren. Während andere Narrenvereinigungen in Halloween ein neues Betätigungsfeld sehen, verwahrt sich die Vereinigung Schwäbisch-Alemannischer Narrenzünfte dagegen.
Auch die hannoversche Landesbischöfin Margot Käßmann hat den Umgang mit dem Geisterfest kritisiert: „Gezielt wurde dieser Kürbis-Kult durch die Werbeindustrie eingesetzt, und viele sind darauf hereingefallen. Ich empfinde das als Kulturverlust. Energisch sollten wir uns für die traditionellen Feiertage und ihre Inhalte einsetzen.“
Das finde ich übrigens auch.
 

Herzlichst

Ihr Wulf Wager
 

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