Zu Beginn des 19. Jahrhunderts (um 1810) reichte der Rock noch bis zum Knöchel, bis in die zwanziger Jahre des 19. Jahrhunderts rückte die Taille an ihre natürliche Stelle, man verzichtete auf die Wattierung der Röcke, der freie Faltenwurf wurde modisch und die Röcke wurden kürzer und lockerer; die Kleidung passte sich den bürgerlichen Lebensbedingungen an. In den 1820er Jahren wurden die Röcke mit Borten reich verziert. Bereits in den 1830er Jahren nahm die Rocklänge derart zu, dass gerade noch der Fuß sichtbar war. Dabei nahm neben der Rocklänge auch die Rockbreite zu. Die Röcke wurden in dichte Falten gereiht und mehrere Röcke stufenförmig übereinander getragen. Zur gleichen Zeit wurden Volants beliebt. War es um 1840 noch üblich, lediglich einen Volant am Saum anzubringen, waren zehn Jahre später die Röcke oft mit vielen Reihen Volants bis zur Taille besetzt. Während dieser Zeit gehörte das Karomuster zu den begehrtesten Mustern in der Mode. Aus dem kurzen modegeschichtlichen Abriß des europäischen Rockes wird erkennbar, in welchen Epochen Einflüsse auf das Aussehen der Röcke der Landbevölkerung übergingen. Zum einen wird deutlich, dass während der Renaissance und Reformation der Rock und die Grundbestandteile der bäuerlichen Tracht ihren Anfang nahmen. Zum andern kann für die schwäbischen Bauerntrachten festgehalten werden, dass es vor allem die Entwicklungen der 1810 bis 1830er Jahre waren, die die Gestaltung der Trachtenröcke stark beeinflussten. Das um 1840 beliebte Karomuster könnte das Vorbild für die weit verbreiteten karierten Unterröcke sowie für die karierten Röcke der Schwäbischen Alb gewesen sein. Der Rock zum schwäbischen „Baurahäs“Die schwäbischen Trachtenröcke bestanden aus drei zusammengenähten Bahnen aus Tuch bzw. Wolle von ca. 112 cm Breite. Auf der Ulmer Alb bestanden die Röcke oft nur aus zweieinhalb Bahnen, eine Bahn bezeichnete man dort als „Blad“. Das Material ist derart dicht, fest und schwer, dass diese Röcke kaum verschleißen. Durch das Zusammennähen der Bahnen erhalten die Röcke einen Umfang von 3,5 bis 4 Metern. Die Bahnen waren gerade geschnitten und die Röcke erhielten ihre passende Weite dadurch, dass sie an der Hüfte zu engen Falten gerafft/gefältelt wurden. Die Falten am Bund haben in Betzingen und im Gäu eine Breite von ca. 10 cm. Die Falten der Röcke der Ulmer Alb sind knapp halb so lang. Auf der rechten Rockseite wurde für gewöhnlich aus „eigenem Tuch“ (schwäbische Bezeichnung für selbst angebaute, handgesponnene und -gewobene Leinwand oder Halbleinwand) ein ca. 20 cm tiefer Rocksack angebracht. Der Rocksack musste so groß sein, dass ein Pfünder-Brot hineinpasste. Vorne wurde am Stoff gespart, da dieses Stück der Bahn unter der Schürze versteckt war. Im Gegensatz zum seitlichen und hinteren Teil des Rockes, an welchem die gerafften Falten sichtbar waren, war hier die Fältelung nicht erforderlich und außerdem konnte die Schürze auf diese Weise glatt herunterfallen. Diese Art der Fältelung ermöglichte es, bei Figurveränderungen weitere Falten zu raffen bzw. vom seitlichen Teil des Rockes Falten herauszulassen. Wenn ein Rock geerbt wurde, konnte er auf einfache Weise passend gemacht werden. Auch mit der Versetzung von Haft und Haken, mit denen der Rock vorne zu schließen war, konnte der Rock passend gemacht werden. Schwangere zogen am Rockschlitz ein Baumwollbändel durch, um den Bund zu erweitern. Die Röcke der Betzinger Tracht und der Schwäbischen Alb hatten oberhalb des Rocksaums Besätze, die Hinweise auf den sozialen Stand und den Reichtum der Trägerin gaben sowie den Verwendungszweck des Rockes erkennen ließen (siehe dazu die Beschreibung der einzelnen Röcke in nächsten Heft). Die Röcke der Gäutracht dagegen hatten auf der rechten Seite keinen Besatz. Der Saum der Betzinger Röcke wurde zum Schutz des Abstoßens lediglich umgeschlagen. Die Röcke der Gäutracht hatten entweder einen am Saum umgeschlagenen Baumwollbändel, eine Besenlitze oder eine Schnur/Kordel. Auf der Ulmer Alb wurde entweder der auf der rechten Seite aufgenähte Samt-Rockbesatz umgeschlagen oder aber eine Schnur/Kordel zusätzlich angebracht. Die Qualität des Rockmaterials stand in Relation zu den finanziellen Möglichkeiten der Trägerin. Je besser die Stoffqualität, desto höher die Stellung innerhalb der Dorfhierarchie. Die Frauen achteten sehr aufeinander, man kannte die soziale Situation der einzelnen Dorfbewohner. Eine ärmere Bauern- und Handwerkerfrau musste sich unter Umständen als „hoffärtig“ (einen Dünkel haben) bezeichnen lassen, wenn sie sich in der Manier der reichen Rossbäuerinnen kleidete. Eine Kuhbäuerin hatte sich eben mehr zu beschränken als eine reiche Ochsenbäuerin oder gar eine Roßbäuerin. Das Tragen qualitativ hochwertiger Röcke war aber keineswegs bequem, je teurer ein Rockstoff war, desto schwerer war sein Gewicht. Diese sogenannten „Tuchröcke“ wogen mehrere Kilogramm. Erschwerend kam hinzu, dass unter dem Oberrock generell ein Unterrock getragen werden musste, der zwar leichter, aber für heutige Verhältnisse dennoch schwer war. Das Weglassen des Unterrocks war undenkbar, die Frauen vertraten die Auffassung, dass der Überrock erst durch den Unterrock seinen passenden Sitz bekam. Der Unterrock hatte seinen „Rocksack“ auf der linken Seite des Rockes im Gegensatz zum Rocksack des Oberrocks, der sich auf der rechten Seite befand. Insbesondere an Regentagen erfüllte der Unterrock einen wichtigen Zweck. Es war nämlich üblich, den Oberrock von hinten über den Kopf zu stülpen, um damit ein Regendach zu schaffen, das Mensch und „Häs“ vor Nässe und Verschmutzungen schützen sollte. Zeitzeugen erinnern sich noch an die klein-karierten Unterröcke, die dadurch sichtbar wurden. Die dichten und schweren Rockstoffe und die Verwendung mehrerer Bahnen Stoff bewirkten, dass die Mädchen und Frauen korpulenter wirkten, als sie in Wirklichkeit waren, man nannte das „Auftragen“. Trachttragende Frauen berichten, dass den Bauern ein „stattliches Weib“ lieber war als eine „hagere“. Von den kräftigen Frauen hieß es, diese könnten besser „schaffen“. Übrigens wurde unter dem Rock bzw. Unterrock früher lediglich ein Leinenhemd getragen, eigene Unterwäsche kannten die Frauen nicht. Musste man „Wasser lassen“, spreizte man stehend die Beine, hob den Rock vorne und hinten etwas vom Körper weg und „verrichtete sein Geschäft“. „Selbst gesponnen, selbst gemacht, das ist echte Bauerntracht!“ Dieser seit Generationen bekannte Spruch kann der Realität nicht standhalten. Viele Bestandteile der Bauerntracht wurden nicht von den Bäuerinnen selbst, sondern von gelernter Hand hergestellt. Dazu gehörte auch der Trachtenrock, der ein wesentlicher Bestandteil zu der im Volksmund als „Baurahäs“ bezeichneten Tracht war. In Betzingen nähte den Rock der Schneidermeister, im Gäu die „Gwandnähere“ und auf der Ulmer Alb die „Bauranähere“. Schneidermeister und Näherin kamen „auf der Stöhr“ ins Haus der Auftraggeberin, nahmen Maß und nähten vor Ort oder lieferten den fertiggestellten Rock. Eine Baisingerin, die noch den Beruf der „Gwandnähere“ erlernte, berichtete, dass sie im Haus der Auftraggeberin oftmals mehrere Tage nähte, um die Aufträge abzuarbeiten, wobei die handbetriebene Nähmaschine gute Dienste leistete. In Betzingen und auf der Ulmer Alb trugen bereits Kinder Trachten, im Gäu bekam man seine erste Tracht nach der Schulentlassung. Kinder hatten aber lediglich einen minimalen Bestand an Trachtenröcken, der sich quantitativ und qualitativ auf das notwendigste beschränkte. An der Konfirmation, mit dem Zeitpunkt der Aufnahme in den Kreis der Erwachsenen, bekamen die Mädchen den ersten „reachten Rock“. Im heiratsfähigen Alter, nachdem man ausgewachsen war, wurde die kostspielige Aussteuer angeschafft, die nach der Hochzeit ein Leben lang halten musste. Zudem erbten die Frauen die Röcke und Trachtenteile von der Mutter und ledigen Verwandten, nachdem diese gestorben waren. Eine 90-jährige Albbäuerin die noch heute „bäurisch“ (Bezeichnung für bäuerliche Kleidungsweise auf der Ulmer Alb) gekleidet ist, schämte sich für das Alter ihrer Röcke und sagte: „Des därf mr gar koim verzähle, wie alt dass auser Häs (schwäbische Bezeichnung für Tracht) ischt!“ Ein Albbauer, dessen hochbetagte Mutter heute noch Tracht trägt, meint: „Bei meirer Muater häm mr bei de Kloider viel Geld gspart, dia hot ihr Baurahäs, do muasch nix nochkaufa!“ Eine ebenfalls noch trachttragende Frau auf der Ulmer Alb erzählt, dass sie aus einer ärmeren Familie stammt und dass im Stall lediglich wenige Kühe standen. Diese Frau bekam in ihre Aussteuer lediglich einen schwarzen Rock für ihre Hochzeit und einen „tafleten“ (= karierten) Rock fürs Festhäs. Die Mutter dieser Frau rechtfertigte diese Sparsamkeit mit Hinweis auf die kommenden Erbaussichten: „Du brauchscht koine Röck, du kriagscht meine.“ Die Rockstoffe waren sehr teuer, deshalb beschränkten sich Ärmere auf das erforderliche Mindestmaß an Röcken und bevorzugten qualitativ weniger gute Stoffe, die meist leichter zu tragen, dafür aber nicht so langlebig waren. Reichere hingegen konnten mittels einer Vielzahl an schweren Röcken sowie – im Falle von Betzingen und der Alb – mit Rockbesätzen aus Bändern ihren Reichtum zur Schau stellen. Die Stoffe für die Röcke kauften die Auftraggeber in auf Bauerntrachten spezialisierten Kurzwarengeschäften, die ein umfangreiches Sortiment an Stoffen und Zubehör auf Lager hatten. Die Betzingerinnen gingen zum „Bühler“ nach Reutlingen in die Katharinenstraße, die Albbäuerin der Ulmer Alb kaufte entweder in Ulm oder „beim Albert“ in Neenstetten und die Bäuerin aus Oberndorf konnte beim „Schraivogel“ in Rottenburg a. N. einkaufen. Fabriziert wurden die Tuch- und Wollstoffe der Trachtenröcke von der heimischen Textilindustrie. Bei Mägden war es oft üblich, an Martini (11.11.) vom Bauern nicht nur die Auszahlung für das geleistete Arbeitsjahr zu bekommen, sondern auch Stoffe zur Tracht, so dass manche Magd sich nach Martini einen Rock nähen ließ. In wirtschaftlich schlechten Jahren wie z.B. in den Nachkriegsjahren, als für die Bevölkerung Stoffknappheit herrschte, wurden Trachtenröcke „vertrennt“ und zu Frauen- und Kindermänteln bzw. -jacken umgefertigt. Viele Frauen stifteten einen Teil ihrer „reachten Röcke“, um für die Familie die strengen Winter erträglich zu machen. Die Frauen achteten sehr auf ihre Röcke, man „schonte“ sie, wo es nur ging. Erstens hatte man kein Geld für Neuanschaffungen und außerdem wollte man seine Röcke noch an die eigenen Töchter weitervererben. Vor allem die „reachten Röcke“, die man nur zu besonderen kirchlichen oder festlichen Anlässen – oftmals nur wenige Male im Jahr – trug, wurden mit viel Sorgfalt behandelt. Ein großes Problem stellte das Sauberhalten der Röcke dar, sie konnten nämlich nicht gewaschen werden. Insbesondere an regnerischen Tagen, wenn die Straßen aufgeweicht waren, hoben die Frauen ihre Röcke leicht an, damit der Rocksaum nicht schmutzig wurde. Die „reachten Röcke“ wurden nach dem Tragen sofort ausgebürstet, gelüftet und danach mit der linken Seite an dem eigens dafür vorgesehenen Haken ordentlich im Schrank aufgehangen. Das „Schonen“ der Röcke zeigt sich vor allem im ständigen Umziehen der Bäuerinnen, vor allem an Sonn- und Feiertagen: 1. Morgens zur Stallarbeit zog man eine Werktagstracht an, um das Vieh zu füttern und auszumisten (im Gäu und Betzingen „Werdighäs“, auf der Alb „Stallhäs“ genannt). Man verwendete den ältesten vorhandenen Werktagsrock, der, nachdem er für die Haus-, Hof- und Feldarbeit gedient hatte, schließlich zur Stallarbeit getragen wurde. Das „Stallhäs“ wurde an einem speziellen Haken im Stall aufbewahrt, d.h. man kleidete sich im Stall um. 2. Danach wusch man sich und zog ein „reachtes Häs“ zum Kirchgang an (in Betzingen „Sonntighäs“, im Gäu „Gwand“ und auf der Alb „Kirchahäs“ genannt). 3. Danach zog man ein „Werdighäs“ zum Kochen und anschließenden Essen an. 4. Nach dem Essen zog man, falls man Verwandte in benachbarten Dörfern besuchte (wurde als „über Feld gehen“ bezeichnet), das „Sonntighäs“ an. Bei Nachbarschafts- oder Krankenbesuchen im Ort gab es in allen drei Trachtengebieten unterschiedliche Verfahrensweisen: In Betzingen trug man eine heruntergesetzte Sonntagstracht, das sogenannte „Sonndichobedhäs“, auf der Alb wurde entweder eine heruntergesetzte Sonntagstracht oder ein leichterer extra für den Sonntagnachmittag angefertigter Rock getragen, in Oberndorf trug man ein speziell für den Sonntagnachmittag angefertigtes Häs. Blieb man im Haus, trug man einen Sonntagsunterrock, der eigentlich unter einem „reachten“ Rock getragen wurde und den der Älbler als„Kutte“ bezeichnete. 5. Abends zog man wieder zum Vieh füttern und ausmisten das „Werdighäs“/ „Stallhäs“ an. Bemerkenswert ist, dass die Frauen ihre Röcke niemals beliebig auswählten. Ihnen war bewusst, zu welchem Anlass sie welchen Rock zu tragen haben. Um in der „Dorfgemeinschaft“ akzeptiert zu werden, war ein Abweichen von den im Dorf üblichen Sitten und Gebräuchen nicht möglich. Wer nicht in Verruf kommen wollte, musste die Zusammenstellung und Trageweise der Tracht für den entsprechenden Anlass genauestens einhalten. Eine Albbäuerin erzählte, dass sie zum Kirchgang am Totensonntag, an welchem generell der schwarze Rock der Trauertracht getragen wurde, einen braun-schwarz-karierten Rock, der zum Abtrauern diente, angezogen hatte. Nach dem Kirchgang flüsterte ihr eine ältere trachttragende Bäuerin leicht rügend ins Ohr: „Nächscht Johr ziahscht aber wieder dr schwarze Rock a!“. Die damals junge Bäuerin schämte sich sehr und wagte sich nie mehr den sogenannten „Braunen Rock“ am Totensonntag anzuziehen. Daran erkennt man, dass die Trachtenträgerinnen in der Zusammenstellung ihres „Baurahäses“ nicht individuell entscheiden konnten, vielmehr achteten die Frauen untereinander darauf, dass man korrekt angezogen war. Woher stammten diese von dem Volkskundler Albert Walzer als Wechselformen bezeichneten Trachten-Varianten für bestimmte Anlässe? Unsere heutige Sicht, die von bequemer und individueller Kleidung geprägt ist, beurteilt das Trachttragen als keineswegs angenehm. Die Röcke waren schwer und im Hochsommer viel zu heiß. Zudem mangelte es für heutige Begriffe an der erforderlichen Hygiene, da die Röcke nicht gewaschen werden konnten. Für die trachttragenden Frauen tat dies ihrer Kleidung keinen Abbruch. Für viele Bäuerinnen war es nicht vorstellbar, bürgerliche Modekleidung zu tragen. Zudem bedingt jede Kleidung auch ein gewisses Auftreten und Verhalten im Alltag. Die Bauernröcke hatten eine derartige Weite, dass man ohne weiteres sehr große Schritte machen konnte. Die leichteren bürgerlichen Röcke hatten diese Rockweite nicht und Zeitzeugen bestätigen, dass viele Bäuerinnen, die von „bäurisch“ auf „herrisch“ (Bezeichnung für die bürgerliche Mode auf der Schwäbischen Alb) wechselten, große Probleme beim Gehen hatten. Das persönliche Umfeld entschied häufig darüber, die Tracht beizubehalten bzw. abzulegen. Eine Frau erzählte mir, dass ihre Mutter einmal die Tracht ablegen wollte, weil es der Vater wünschte, sich aber dann doch fürs „bäurische“ entschied, als die Tochter sie auf das völlig andere Tragegefühl hinwies. Frauen, die von „bäurisch“ auf „herrisch“ wechselten, fühlten sich in vielen Fällen nicht wohl. Sie waren es gewohnt, im „Baurahäs“ zu gehen und genierten sich oft, wenn sie die Kleidung wechselten, da die Dorfbewohner sie darauf ansprachen. Als wesentlichen Vorteil des Trachttragens galt das Wissen der Zusammenstellung für die jeweiligen Anlässe. Eine Bäuerin sagt: „Wo i no s’Baurahäs aghet han, do han i gwisst was i azieha muaß. Jetzt stand i voram volla Kleiderkaschta und frog mi, was duasch a!“. Quellen:
Anschrift des Autors: Stephan Zielke, Adolf-Damaschke-Str. 110, 72770 Reutlingen, E-Mail: stezie69[at]freenet.de Seitenanfang |
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