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Mit „Prosit!“ tranken sich schon die Römer ins
neue Jahr
Ines Lauffer/haspel-press
Über die Entstehung des Neujahrsfestes
Wenn sich in Europa die ersten Neujahrsmüden gegen sechs
Uhr zu Bett begeben, zählen die New Yorker das alte Jahr gerade
mal aus und die Chinesen müssen noch über einen Monat auf
ihr großes Jahreswechselfest am 7. Februar warten. Dass wir
in Deutschland den ersten Januar als Jahresbeginn feiern, setzte sich
erst vor rund 300 Jahren durch. Davor herrschte in Europa, nach dem
Zusammenbruch des Römischen Reiches, ein heilloses Durcheinander:
Im Gebiet der heutigen Schweiz wurde Neujahr am ersten Ostertag gefeiert,
die Venezianer zelebrierten den 1. März, Spanier und Briten den
25. Dezember. Diese Vielzahl an Terminen brachte mannigfaltige Neujahrsbräuche
mit sich.
Die Römer erkannten, dass die jahreszeitlichen Veränderungen
von der Sonne abhingen, berechneten so das Sonnenjahr und feierten
den Jahresbeginn zur Wintersonnenwende am 25. Dezember. Auch die alten
Germanen feierten das Mittwinterfest als Beginn des neuen Jahres:
An ihrem Julfest – Jul bedeutet Rad und ist Sinnbild der Sonne
– entzündeten sie ein großes Feuer, um alle schädlichen
Dämonen zu vertreiben. Erst Julius Cäsar führte als
Herrscher von Rom den julianischen Kalender und mit ihm den 1. Januar
als Jahresbeginn ein. Die Römer zelebrierten ihr Neujahrsfest
mit üppigem Straßentreiben und Maskeraden: Sklaven und
Diener stolzierten als Herren verkleidet auf den Straßen und
Plätzen umher und parodierten ihre Herrschaften, um ihrem Groll
Luft zu machen. Mit guten Wünschen und lautem „Prosit!“
begannen sie das neue Jahr. Sie verschütteten Wein als Opfer
für den Gott Janus, der mit seinen zwei Gesichtern für das
alte, verflossene und das junge, neue Jahr stand.
Mit dem Zusammenbruch des Römischen Reichs und dem Aufstieg
des Christentums verlor der 1. Januar an Bedeutung. Fortan konkurrierten
verschiedene Daten: der 25. März als Mariä Verkündigung
des irdischen Daseins Christi, das Osterfest oder Weihnachten, welches
zeitlich dem heidnischen Sonnwendfest entspricht. Verschiedene Republiken
und Fürstenhöfe begingen ihr Neujahrsfest zu unterschiedlichen
Zeiten. In Deutschland versuchte etwa Luther, das Weihnachtsfest mit
dem Neujahrsfest zu verschmelzen. Erst mit der Einführung des
Gregorianischen Kalenders um 1700 begann das Jahr endgültig mit
dem 1. Januar.
Die Vielzahl an Terminen brachte auch eine Vielfalt der Bräuche
mit sich. Allen Traditionen war es gemein, den Beginn des neuen Jahres
als opulentes Fest mit zahlreichen kulinarischen Genüssen zu
feiern. Die reich gedeckte Tafel galt als gutes Omen für das
kommende Jahr. Hinzu kamen ausgelassene Neujahrstänze und –umzüge.
Überliefert sind auch viele symbolische Handlungen, die das Silvesterfest
begleitet haben sollen. Zum größten Teil handelt es sich
dabei um einen spielerischen Umgang mit Zukunftsprognosen, dem heute
noch bei uns verbreiteten Bleigießen ähnlich. So gab es
etwa im „deutschen“ Mittelalter die so genannte Tagewählerei,
mit der Glücks- und Unglückstage vorhergesagt wurden. Zwischen
Weihnachten und Dreikönig beobachtete man den Verlauf der zwölf
Tage, um sie dann mit den zwölf Monaten gleichzusetzen. Über
das zukünftige Wohlergehen der Einzelnen sollte ein Brotteig
Aufschluss geben. Ging der Teig im Ofen schnell und üppig auf,
bedeutete das für die jeweilige Person Glück und Gesundheit.
Auch in Liebes- und Eheangelegenheiten waren Weissagungen sehr
gefragt. Beliebt war etwa im Mittelalter das Schuhwerfen: Mädchen
im heiratsfähigen Alter warfen, mit dem Rücken zur Tür
gewandt, einen Schuh über ihre Schulter. Zeigte die Schuhspitze
zur Tür, so schien es gewiss, dass das Mädchen im kommenden
Jahr das Haus verlassen und heiraten würde. Ein anderer Brauch
empfahl dem jungen Mädchen „in der Neujahrsnacht nackt
vor seinem Bette, Gott um einen Freier zu bitten, dann heirate es
noch im nämlichen Jahr.“ Insgesamt galt die Neujahrszeit
als günstige Zauberzeit, um auf unterschiedlichste Weise das
Glück des neuen Jahres herbeizulocken.
Neujahr war außerdem die Zeit für Kugelschießen,
Wünschelrutenschneiden, Schatzgraben und ähnlichem mehr,
berichtet Sebastian Brant 1494 in seinem moralischen und satirischen
Lehrgedicht „Narrenschiff“. Diese Bräuche haben sich
zum Teil bis heute gehalten: Das Gießen von flüssigem Blei
ist zum klassischen Silvester-Orakel geworden, Glücksschweine,
Kleeblätter oder Fliegenpilze werden verschenkt und zum Jahresende
häufen sich die astrologischen Zukunftsdeutungen nach dem Motto:
„Ihr Horoskop für 2004“ in den Illustrierten. Noch
immer stehen Fragen in Sachen Liebe an erster Stelle. Und wenn wir
die letzten Sekunden des alten Jahres gezählt haben, mit den
Gläsern anstoßen und „Prosit Neujahr“ wünschen,
dann tun wir das in guter alter römischer Sitte und mit dem römischen
Wort Prosit, was „es möge nützen!“ bedeutet.
Ines Lauffer/haspel-press, Tübingen
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