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Die Baden-Württembergische Volkstanzwoche in Überlingen
wird vierzig
von Wulf Wager
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Die von der Heimatzunft Baden-Württemberg
veranstaltete Baden-Württembergische Volkstanzwoche in
Überlingen und die Volkstanzwoche der Arbeitsgemeinschaft
der Sing-, Tanz- und Spielkreise in Freiburg gehen beide auf
die von Kurt Wager 1961 erstmals durchgeführte Ortenberger
Volkstanzwoche zurück. |
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Alljährlich in der ersten Januarwoche des neuen Jahres, wenn
kein Tourist mehr die Promenade entlang spaziert, machen sich Jugendliche
und Junggebliebene aus dem ganze Land auf nach Überlingen am
Bodensee. In dieser Zeit verwandelt sich die Martin-Buber-Jugendbegegnungsstätte
in das Mekka der baden-württembergischen Volkstanzbewegung. Aus
dem Ländle, aber auch weit darüber hinaus kommen begeisterte
Volkstänzerinnen und Volkstänzer, um unter der Leitung von
erfahrenen Volkstanzlehrern Schritte und Tänze und vor allem
das Vermitteln der alten Tänze unserer Vorfahren zu erlernen.
Kurt und Elli Wager
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Längst haben die modernen Gesellschaftstänze und die Tanzmodewellen
von Break-Dance bis Hip-Hop die Tanzlokale und Discos unserer Städte
und Dörfer überrollt. Polka, Schottisch, Rheinländer
oder die Francaise spielen auf dem Tanzboden keine Rolle mehr. Und
doch finden immer mehr Jugendliche und Erwachsene Spaß an den
Tänzen und Tanzmelodien, die Großväterchen durch die
Zahnluck’ pfiff, wenn er die Großmutter zum Tanze ausführte.
Fast wären sie in Vergessenheit geraten, die Dorftänze,
wenn da nicht eine Hand voll Forscher in den Jahren zwischen den Kriegen
durch das Land gereist wäre und sich von alten Leuten die schwäbisch-alemannischen
Volkstänze hätte zeigen lassen. Allen voran ist Prof. Karl
Horak aus Schwaz in Tirol zu nennen. Was liegt also näher, direkt
aus dessen Erfahrung zu schöpfen. So war er einer der vielen
volkstanzprominenten Ehrengäste, die der Baden-Württembergischen
Volkstanzwoche in Überlingen mehrmals einen Besuch abstatteten
und die Teilnehmer in ihren Bann rissen. Alle großen Namen der
Volkstanzforschung waren als Referenten in Überlingen: Prof.
Richard Wolfram, der große europäische Volkstanzforscher
aus Wien, Herbert Lager, Hermann Derschmidt, um nur einige zu nennen.
Längst leben sie alle nicht mehr und doch waren sie auch Lehrmeister
der heutigen Referenten.
Kurt Wager beim Unterricht
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Auch der Gründer der Volkstanzwoche lebt nicht mehr. Im Januar
1961 hat der Mentor der baden-württembergischen Volkstanzpflege,
Kurt Wager (1911-1979) aus Stuttgart, zu einem Volkstanzlehrgang in
die Jugendherberge Schloss Ortenberg bei Offenburg geladen. Dieser
Lehrgang diente zunächst als Jugendgruppenleiterlehrgang für
Volkstanz- und Singleiter-Nachwuchskräfte. In den ersten Jahren
waren es 20 bis 40 Teilnehmer, die sich in der unwirtlich kalten Jugendherberge
auf Schloss Ortenberg durch Tanzen erwärmten. An warmes Wasser
in den Waschräumen war nicht zu denken. Das einzige was einen
warm hielt, war das Tanzen. Über 18 Jahre lang haben Kurt Wager
und seine Frau Elli die Volkstanzwoche geleitet und maßgeblich
geprägt. Am Anfang alleine und im Laufe der Zeit mit einem großen
Mitarbeiterstab haben sie Maßstäbe gesetzt.
Schwarzwälder und Älbler - inniglich im Tanze vereint
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Schnell wuchs dieser Lehrgang und man siedelte aus rein technischen
Gründen – die Jugendherberge in Ortenberg musste einige
Zeit wegen Umbau geschlossen werden – nach Überlingen um.
Dort fand die Volkstanzwoche in der neu gebauten Martin-Buber-Jugendbegegnungsstätte
eine neue Heimat. Man schrieb Teilnehmerzahlen von an die 200 Personen.
Das führte dazu, dass man zum gemeinsamen Tanzen aller in die
Turnhalle am See ausweichen musste.
Viele Impulse gingen von der Volkstanzwoche aus. Viele Freundschaften
und so manche Ehe wurden geschlossen. Die Inhalte der Baden-Württembergischen
Volkstanzwoche haben sich seit Beginn vor 40 Jahren stark verändert.
Waren es am Anfang vor allem skandinavische und österreichische
Tänze, die vermittelt wurden, so sind es heute die traditionellen
schwäbisch-alemannischen Tanzformen, die den Kern der Tanzvermittlung
bilden.
Arbeitsgruppe Kindertanz in der berüchtigten Haifischbar der Jugendherberge Überlingen
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Diese Welle der Rückbesinnung auf die eigenen tänzerischen
Wurzeln ging vor etwa 20 Jahren von den Referenten der Volkstanzwoche
um die Söhne des Gründers, Hartmut und Wulf Wager, aus und
wirkt bis heute in die Volkstanz- und Trachtengruppen des Landes hinein.
Ein enge Freundschaft verbindet die Macher der Volkstanzwoche mit
der historischen Überlinger Schwerttanzkompanie. Fritz Zugmantel,
der damalige erste Platzmeister und Bürgermeisterstellvertreter,
schrieb in der Festschrift zur 20. Volkstanzwoche: „Die Schwerttanzkompanie,
die es sich zur Aufgabe gemacht hat, das Brauchtum des Schwerttanzes
zu pflegen und der Nachwelt zu übertragen, freut sich sehr darüber,
dass Überlingen wieder zum Treffpunkt von Volkstanzgruppen wird
und damit den Bürgern dieser Stadt, den zahlreichen Gästen
Volkstanzmusik mit Rüdiger Dünkel
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und vielen Besuchern im Umland die Bedeutung des Volkstanzes, seine
gesellschaftsfördernde Kraft und das Traditionsbewusstsein deutlich
vor Augen geführt wird.“
Zum 25-jährigen Jubiläum führte die Überlinger
Schwerttanzkompanie ausnahmsweise den Schwertletanz außerhalb
seines im Brauch angestammten Platzes am Dreikönigstag auf der
Überlinger Hofstatt zu Ehren der Baden-Württembergischen
Volkstanzwoche auf.
Die Besinnung auf die eigene Tradition bedeutet aber nicht, dass die
württembergischen und badischen Volkstänzer betriebsblind
sind. In jedem Jahr ist ein ausländischer Referent zu Gast, um
einen Blick über den Zaun zu bieten. So waren namhafte Tanzmeister
aus Österreich, der Schweiz, Südtirol, England, Tschechien
und vielen anderen Orten eingeladen. Waren es in den 1980er Jahre
die Tanzmeister Walter Schmidt aus Wien und Ernst Brunner aus Appenzell,
so war es in den 1990er Jahren vor allem der Engländer Alan Davies,
Männertanz mit Hans Martin Herrmann (oben) und Alan Davies (unten)
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der die Volkstanzwochenteilnehmer mit seinem herrlichen Deutsch begeisterte
und der Südtrioler Hubert Kuppelwieser, der charmant die Kehllaute
des Tiroler Dialektes in den den Tanzsaal schmetterte.
Die Überlinger Volkstanzwoche ist eine Aus- und Fortbildungswoche
für Tanzanfänger, Tanzfortgeschrittene und Tanzleiter. Dadurch
ist sie auch ein wichtiger Umschlagplatz für Kontakte, Meinungen,
Gespräche und Impulse. Durch diesen Lehrgang wurde und wird die
Volkstanzarbeit nicht nur in Baden-Württemberg, sondern auch
weit darüber hinaus geprägt.
Die Einladung richtet sich deshalb an einen vielschichtigen Teilnehmerkreis:
an Anfänger, die die wichtigsten Grundschritte und -tänze
erlernen oder festigen wollen, sowie an Interessierte, die sich intensiver
mit den Methoden der Tanzübermittlung und der Gruppenarbeit beschäftigen
wollen - kurz: an Tanzleiter und solche, die es werden wollen, an
Multiplikatoren der Jugend- und Erwachsenenbildung.
Die Freunde der Überlinger Schwerttanzkompanie
bei ihrem Geburtstagsgeschenk anlässlich der 25. Volkstanzwoche
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Um den unterschiedlichen Vorkenntnissen und Interessen der Teilnehmer
zu entsprechen und um eine gewisse Individualität der Programmzusammenstellung
zu ermöglichen, wird oft in kleineren und größeren
Gruppen mit wechselnden Referenten gearbeitet. Das Lehrgangsprogramm
ist zwar dicht gedrängt, trotzdem bleibt genügend Raum für
Geselligkeit. Beides, konzentrierter Unterricht und gleichzeitige
Geselligkeit, haben die Volkstanzwoche unverwechselbar gemacht.
Volkstanz ist das zentrale Thema des Lehrgangs. Jedoch gehören
auch andere Bereiche des Brauchtums zu seinem festen Bestandteil.
So greifen Vorträge und die in den Mittagsstunden angebotenen
Arbeitsgruppen zu Themen wie Trachtenhandwerk, Fahnenschwingen, aber
auch Bauchtanz diesen Bereich teilweise auf und ergänzen den
Volkstanz sinnvoll.
Die spinnen, die Badener!
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Nach Kurt Wager übernahmen zuerst sein Sohn Hartmut und dann
sein Sohn Wulf die Leitung der Volkstanzwoche. Doch sie allein konnten
die Aufgaben nicht bewältigen, die anstanden. Heute leitet Bernhard
Danner aus Kempten, der zweite Vorsitzende der Heimatzunft, mit einem
eingespielten Team die Woche. Während man immer für Neues
aufgeschlossen war, so hat sich doch die inhaltliche Grundstruktur
über all die Jahre bewährt. Viele junge und ältere
Menschen haben sich für und bei der Volkstanzwoche engagiert.
All ihnen sei an dieser Stelle herzlichst gedankt. Ohne ein gutes
und engagiertes Team hätte keiner der Leiter diese Woche stemmen
können.
Besonders beliebt war immer schon der Spieleabend
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Keiner hat je die vielen tausend Umdrehung gezählt, die in den
Räumen der Überlinger Jugendherberge gedreht wurden, keiner
hat die Schweißtropfen gesammelt, keiner hat die Küsse
notiert, keiner hat die Tränen gezählt, die beim Abschied
flossen. Es ist vor allem der persönliche Kontakt untereinander
über Alters- und Gesellschaftsgrenzen hinweg und das gemeinschaftliche
Miteinander, das das Charisma dieser „Überlinger Volkstanzwoche“
ausmacht. Diese Atmosphäre kann man nicht in Worte kleiden, das
muss man miterleben.
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