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Liebe Trachtler
Hinter jedem Landhausmodenträger steckt eine Tragödie
Alex Moser |
am Freitag, 5. Oktober 2001 war ich Euer Gast beim Info- und Diskussionsabend
zum Thema „Trachtenbewegung: Quo vadis?“in Empfingen.
Die Podiumsdiskussion war eine Bestandsaufnahme und die Vorsorge um
die Probleme der Zukunft der Trachtenbewegung, kurzum „Quo vadis“.
Dabei sind mir folgende Begriffe aufgefallen: „Tracht und Heimat“,
„Mut zur Tracht“ und „Tracht und Lebensgefühl“.
Jede Problematik hat ihre Chancen. Nie in der deutschen Nachkriegszeit
hat der Begriff und die Sehnsucht nach Heimat eine so unmissverständliche
Nachfrage wie heute erfahren. Wenn die Politik, der Pseudointellekt
und global begründete Interessensgruppen sich vor diesem Zugeständnis
scheuen, dann ist es auch oder gerade den heimatbezogenen Kulturträgern
wie der Trachtengemeinschaft zuträglich, hier ein deutliches
Bekenntnis abzulegen. Heimat ist keine Zuordnung zu rechts oder links.
Heimat ist Identität und Bekenntnis zu den Grundwerten der Freiheit,
der Würde und der Individualität jedes Menschen in seinem
angestammten oder erwählten Lebensraum. Seine Herkunft bzw. seine
Verbundenheit optisch auszudrücken ist ein Teil persönlicher
Freiheit und eine Möglichkeit der individuellen Entfaltung. Die
Tracht ist eine der vornehmsten Möglichkeiten zur Darstellung
der eigenen Persönlichkeit und zum Kollektiv Heimat.
„Mut zur Tracht“ bzw. Treue zu den damit verbundenen Brauchformen
und Traditionen sind erste Voraussetzungen für eine erfolgreiche
Jugendarbeit bzw. für erweiterte Popularität und für
den gesellschaftlichen Stellenwert. Ich habe zum finalen Festjahresabschluss
Trachten aller Couleur erwartet und Jeans angetroffen. Wenn die Festgäste,
als repräsentativer Querschnitt vom Trachtengau Schwarzwald,
so wenig Freude oder Mut zur Tracht bekennen, dann sind die Sympathisanten
allenfalls Jeansträger. Wer als bekennender Trachtler sich seiner
Tracht schämt oder diese, aus welchem Grund auch immer, nicht
tragen mag, ist selber die personifizierte Gefahr um die Existenz
des Trachtenwesens.
Das Trachtenwesen von heute, so meine ich, unterliegt ausschließlich
der Gesetzmäßigkeit von historischer Überlieferung,
d.h. der Träger muss sich dem Diktat der historischen Treue unterwerfen.
Bezogen auf die Optik könnte ich dem Wahlspruch „Treu dem
Alten“ zustimmen. Zur Tragfähigkeit jedoch, so meine ich,
sollte sich die Tracht dem Bedürfnis des Trägers annähern.
Der Träger verlangt, ob bewusst oder unbewusst, gemäß
seinem Naturell Bequemlichkeit, Funktionalität sowie weibliche
oder männliche Attraktivität, insbesonders aber die Berücksichtigung
von Körperbau, Körperfülle entsprechende Zugeständnisse.
Die Tracht stammt teilweise aus Zeiten, wo körperliche Üppigkeit
dem Modeverständnis zuträglich war. Solche Stilelemente
können auf keinen Fall in unsere Zeit mit „magersüchtigen“
Schönheitsidealen transferiert werden.
„Tracht und Lebensgefühl“ oder Lebensqualität
in der Tracht, sind erfahrbare und nachweisbare Grundwerte und Vorzüge,
die es zu vermitteln lohnt.
Als Vertreter der Spezies „Landhausmode-Träger“ weiß
ich um die Trageeigenschaft von Trachten oder Pseudotrachten. Die
Materialien sind die gleichen. Die Optik in der Landhausmode richtet
sich nach Zeitgeschmack, Tragefähigkeit, jedoch immer nach dem
Bedürfnis der Originalität. Der Trachtencharakter in der
Bekleidung bietet eine unerschöpfliche Kreativität, weit
mehr, als in der handelsüblichen Modebranche. Tracht wie Landhausmode
ist eine „ehrliche“ Bekleidung im Bezug auf Ursprünglichkeit,
Naturalität, Qualität und im Preis-Leistungs-Verhältnis.
Ich behaupte, die Träger der Landhausmode sind in ihrer Anzahl
ein Vielfaches, wenn nicht gar jeder Zweite oder Dritte in der süddeutschen
Bevölkerung, gegenüber einer verschwindenden Minderheit
der organisierten Trachtler. Eine breit ausgelegte Industrie ist schon
heute nötig, den Bedarf zu decken. Warum? Wenn ich von mir ausgehe,
hatte ich nie Gelegenheit mich einer Trachtengruppe anzuschließen.
Fazit: „In jeder Landhausmoden-Lederhose steckt eine Tragödie!“
Landhausmodenträger sind zu einem beachtlichen Teil verhinderte
Trachtler. Die Landhausmodenträger sind zu einem großen
Teil die Reservisten und warten auf ihre Rekrutierung in Eure Reihen.
Könnte es sein, dass Ihr Trachtler im Anspruch auf das Trachtenreinheitsgebot
die Signale von überdimensionalen Hirschhornknöpfen auf
Landhausmoden-Lederhosen-Hosenläden arrogant übersehen habt?
Es wurde gesagt: „Provozieren ist erlaubt!“
Alex Moser
Vizepräsident der Vereinigung Schwäbisch-Alemannischer Narrenzünfte
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