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Wulf Wager

NARRI-NARRO: Narretei aus Tradition
Schwäbisch-alemannisches Fasnetstreiben im Ländle


Die schwäbisch-alemannische Fasnet ist ein vielfarbiges facettenreiches Mosaik von Tradition und Brauchtum, das anders als in den rheinischen Gegenden nicht am 11.11., sondern erst am Dreikönigstag oder in manchen Orten sogar erst am 2. Februar, dem Tag "Maria Lichtmess", beginnt.
In den protestantischen Gegenden Württembergs wurde das "heidnische" Treiben durch die Reformation abgeschafft. In den katholischen Gegenden aber gehört die "fünfte Jahreszeit" zum festen Bestandteil des christlichen Jahreslaufes. So steht die Fasnetszeit in engem Zusammenhang mit der vorösterlichen Fastenzeit. Die "Fastnacht" als Schwellenfest vor der strengen Fastenzeit, in der alle fleischlichen Genüsse - durchaus im doppeldeutigen Sinn - verboten sind, bot den Anlaß zu einem ausschweifenden Fest, bei dem alle in der Fastenzeit verbotenen, verderblichen Lebensmittel aufgebraucht wurden. Es wurde geschlachtet und in Fett gebacken. Daher hat der "Schmotzige Donnerstag" seinen Namen (Fett = schwäbisch "Schmotz"). An diesem Tag werden traditionell die Fasnetsküchle gebacken und verschenkt.
 
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Fasnet boomt
 
Waren es nach dem Krieg vielleicht noch ca. 20 Narrenzünfte, die ihr traditionelles Brauchtum und ihre bunten Flicken- und Fransenkleider pflegten, so ist die Fasnet längst zu einem konfessionsübergreifenden landesweiten Phänomen geworden, von dessen Virus alljährlich Hunderttausende befallen werden. Neue Masken und Narrenzünfte entstehen. Glocken, Schellen, Peitschen, Saublodern und Holzmasken haben Hochkonjunktur. Längst sind die Berufe des Maskenschnitzers oder Glockendrehers zu boomenden Wirtschaftszweigen geworden.
 
Die aristokratischen Narren der Stadt Rottweil
 
Weit über die Landesgrenzen hinaus ist die Fasnet der alten, ehemals Freien Reichsstadt am Oberen Neckar bekannt.
Früh muß man aufstehen, wenn man beim traditionellen Narrensprung am Montag morgen dabei sein will. Glockenschlag 8 Uhr drängt angeführt von der Stadtmusik, die vieltausendköpfige Schar der Schantle, Gschellnarren, Biß’, Fransenkleidle, Federehannes und Brieler Rößle aus dem Schwarzen Tor.
Wenn man hier als Zuschauer in den ersten Reihen das bunte Treiben miterleben will, muß man sich schon beizeiten einen guten Platz sichern. Erstaunlich, welchen Aufschwung die Rottweiler Fasnet erlebt hatt. Zwar war der Rottweiler Narrensprung bereits im vergangenen Jahrhundert im Land berühmt, jedoch waren es im Jahr 1903 nur 9 (!) Narren, die den Narrensprung bestritten.
Heute darf man nur "ins Kleidle" wenn man in Rottweil wohnt oder geboren ist und wenn die Narrenzunft als überstrenger Wächter der Tradition, die "Narrenplakette", eine Art Echtheitszertifikat dem Häs verliehen hat. Mit fast 3000 Narren ist die Kapazität des Narrensprungs erschöpft und zeitweise hat die Narrenzunft einen Aufnahmestop erlassen.
Preise bis zu 16.000,- DM für ein komplettes Narrenkleid mit Plakette setzen dem Zulauf aber auch ein natürliches Ende.
Malerisch ist das Bild, das die barocken Fasnetsfiguren in der Kulisse der historischen Altstadt abgeben. Das "Gschell", das der "Gschellnarr" und das "Biß" tragen, besteht aus zwei bis sechs Lederriemen mit großen gezogenen Glocken daran und wiegt bis zu 40 Pfund. Mit tänzelnden Schritten schauen die Narren während des Narrensprungs nach ihnen bekannten Menschen, um ihnen aus dem "Narrenbuch" aufzusagen. Darin sind die Mißgeschicke der Zeitgenossen auf humorvolle Art skiziert und karikiert. Als Belohnung darf der so auf den Hebel genommene anschließend eine Praline oder ein Bonbon genießen. Keiner stößt sich in diesen reichsstädtischen "hohen Tagen" an dieser Form der Narrenkritik.
  Während andere Narrenzünfte in der Fasnetszeit von Narrentreffen zu Narrentreffen reisen, bleiben die Rottweiler immer zuhause und die Fasnetszeit ist auf die Haupttage vom Schmotzigen Donnerstag bis zum Fasnetsdienstag begrenzt.
Vielleicht hat die Rottweiler Fasnet gerade deshalb einen ganz besonderen Reiz, denn die Narren dürfen nur zu den drei Narrensprüngen am Montag und Dienstag früh sowie am Nachmittag des Fasnetsdienstag ins "Kleidle" gehen. Doch dann vollzieht sich bei den maskierten ein enormer Gefühlswandel. Plötzlich wird aus dem Doktor der Rechtswissenschaft ein hochspringender Federehannes, der mit seinem parfümierten Kalbsschwänzle am Springstab die Mädchen neckt; aus dem Kanalarbeiter wird ein majestätisches Biß, das vornehm tanzend durch die Stadt "juckt", und aus dem Lehrer wird ein peitschenschwingender Treiber, der gemeinsam mit zwei weiteren Treibern die Gänsefeder vom Hut des Brieler-Rössle-Reiters zu schlagen versucht.
Zigtausende wohnen jedes Jahr diesem Spektakel der ganz besonderen Art bei.
 
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Schömberg: Kein Haus ohne Narrenkleid
 
Ganz anders ist die Fasnet in dem kleinen Ort Schömberg, nur ca. 30 km entfernt von der Kreisstadt Rottweil an der B 27 zwischen Balingen und Rottweil. Auch dort findet am Monatg morgen um 8.11 Uhr ein Narrensprung statt - allerdings fast gänzlich unter Ausschluß der Öffentlichkeit. Kaum ein Zuschauer der den Straßenrand säumt.
Jeder der laufen kann macht mit. Es gibt kein Haus in Schömberg, in dem nicht wenigstens ein Narrenkleid vorhanden ist. Meist sind es mehr und wer dennoch keines hat, leiht sich eines aus.
Nur zum Klang der Schellen, den die "Fransekleidle" und "Fuchswadel", wie ihre Rottweiler Vettern, über den Schultern tragen, tanzen sie in Dreierreihen zur Ortsmitte. Dort nun beginnt die Stadtmusik die - einmal gehört, unvergesslich gewordene - Melodie des Narrenmarsches zu spielen. Noten brauchen die Musikanten nicht. Jeder Schömberger und jede Schömbergerin bekommt den Rhythmus und die Melodie mit der Muttermilch eingeflößt.
Während es in der Reichsstadt Rottweil einst die ledigen Burschen der Handwerkerzünfte waren, die die Fasnet organisierten und an deren Stelle die Narrenzunft getreten ist, so sind es in Schömberg die "Zwanzger". Das ist der Jahrgang der Zwanzigjährigen. Ehemals waren das die Rekruten. Als Übergang von der Jugend in das Erwachsenenleben ist die Fasnet ein Ventil, um "noch einmal die Sau rauszulassen."
Mit allen Privilegien eines Erwachsenen ausgestattet und durch bar vieler Verantwortung ist, "Zwanzger" zu sein " a G’ fühl wia König!" Jeder Schömberger der diesen Zenith überschritten hat, denkt wehmütig an diese Zeit zurück. Kein "Zwanzger" muß in der Fasnetszeit in den vielen Gasthäusern und Wirtschaften etwas bezahlen. Der Wirt schreibt alles auf und am Aschermittwoch geht der Kassier des Jahrgangs um und bezahlt die Zeche. Finanziert wird dies alles durch eine einmalige Umlage unter den Altersgenossen und durch den Verkauf des "Narrenblättles", den überwiegend die weiblichen Mitglieder des Jahrgangs zu leisten haben. Darin sind die Törichtheiten, Mißgeschicke und Narrheiten des vergangenen Jahres abgedruckt.
Das Recht der "Zwanzger" ist es auch, jedem Narrensprung "vorauszomjucka", also vorauszutanzen und die Narrenpolonaise "dr Bolonäs" anzuführen. Zu Beginn dieses Jahrhunderts hat der Schmiedemeister Johann Wuhrer diesen faszienierend schönen Tanz von der "Walz" aus Frankreich mitgebracht. Jenseits der "Erwin-faßt-der-Heide-von hinten-an-die-Schulter-Polonaise", tanzen am Fasnetssonntag um 14 Uhr, am Fasnetsmontag um 10.11 Uhr und am Fasnetsdienstag um 11 Uhr über 600 Fransekleidle und Fuchswadel, diesen bis zu 1 1/2 Stunden dauernden Narrentanz.
Zwei Narrenfiguren in typischer Rokkokoausstattung dominieren die Schömberger Fasnet. Zum einen ist es der "Fuchswadel", der nach seinen am Hinterkopf befestigsten drei Fuchsschwänzen benannt wird. Er trägt ein weißes Leinengewand das über und über mit bunten Motiven bemalt ist. Die barocke Lindenholzmaske zeigt einen freundlichen fast femininen Typ. Auch hier wiegt das "Gschell" gut und gerne 10 - 15 kg. Die gelben, blauen und roten Schmucktücher sind Verballhornungen der barocken, höfischen Mode. Die "Zwanzger" kann man an dem zusätzlichen weißen Taschentuch erkennen.
Der "Fransennarr" trägt einen kostbaren Samtanzug, auf dem zig-Meter handgewebter bunter Wollwürste, der sogenannte "Sausoach" aufgenäht sind. Er hat in der Hand eine Pralinenschachtel. Zum Ausgleich für das Aufsagen verteilt auch er Pralinen. Böse Zungen behaupten aber, die Schömberger hätten in ihrer Pralinenschachtel nur zwei Pralinen - eine zum zeigen und eine zu selberessen.
Zu diesen beiden Hauptfiguren gesellt sich rund eine Hand voll Einzelfiguren, wie Harzer, Husar, Warz und Blätzle.
Eine weitere interessante Figur ist der "Halbschwarze". Seine genaue Herkunft ist nicht bekannt. In Schömberg sagt man, er stelle "gut und böse" dar.
Eine Eigenheit der Schömberger, ja ein Superlativ in der närrischen Szenerie überhaupt, ist die Tatsache, daß die Zunft keine festgeschriebenen Vereinsmitglieder aufweist, sondern vielmeh jeder Schömberger durch Geburt oder Einbürgerung gleichzeitig als Narr angesehen und der Zunft als zugehörig betrachtet wird.
Hinter vorgehaltener Hand munkelt man in Schömberg, daß der Zunftmeister gar mehr Einfluß als der "Schultes" habe.
 
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Mit Maske im Zuber "da Bach na"
 
In der 30er Jahren hatte ein närrischer Stammtisch die Idee, am Fasnetsmontag in einem Holzzuber die Schiltach in dem Schwarzwaldstädtchen Schramberg hinunter zu fahren.
Aus dieser "Schnapsidee" hat sich eine Brauch entwickelt der alljährlich am Fasnetsmontag um 13 Uhr tausende von Besuchern an die Ufer der aufgestauten Schiltach lockt. 25 abenteuerliche Gefährte fahren "da Bach na". Alle Fahrzeuge sind basierend auf einem Holzzuber gebaut.
Pünktlich um 13 Uhr heißt es dann "Kanal voll" und die Zuberkapitäne stürzen sich in die Fluten. Nur wenige kommen trocken am Ziel an. Fällt einer ins eiskalte Wasser, wird sein Wagemut mit dem vieltausendfachen Ruf der Zuschauer "Patsch naß" verhöhnt. Schafft es gar einer, trocken im Ziel anzukommen, so wird er mit einem herzhaften "Furz trocka"-Ruf belohnt.
Keiner arbeitet am Fasnetsmontag in Schramberg. Seit 1936 ist dieser Tag offiziell arbeitsfrei. Ein echter Schramberger braucht diesen Tag auch frei. Schon am Sonntag nachmittag, beim "Hanselsprung" verteilen die Narren jährlich ca. 20.000 Brezeln an die Zuschauer. Am Montag früh trifft sich Groß undKlein zum Preispiel der "Katzenmusikgruppen". Diese Kapellen sind mit den originellsten, selbstgebastelten Instrumenten ausgestattet, die man sich nur vorstellen kann.
Den Anfang der "Bach-na-Fahrt" macht immer ein "Bach-na-Fahrer" im Zuber. Er trägt eine einfache blaue Bauernbluse und eine geschnitzte Holzmaske. So geht´s "da Bach nach bis am Asch..., bis am Asch..., bis am Aschermittwochmorga!", wie es im Schramberger Narrenmarsch heißt.
 
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Wer mehr wissen möchte: 
Im Internet unter der Adresse "http://www.fasnacht.net" präsentiert sich die Vereinigung schwäbisch-alemannischer Narrenzünfte e.V., die älteste und größte Narrenvereiniung im deutschen Südwesten. Alle 68 Mitgliedszünfte und das größte europäische Maskenmuseum, der "Narrenschopf" in Bad Dürrheim werden ausführlich dargestellt. Selbstverständlich lohnt sich auch ein Besuch im Narrenschopf in Bad Dürrheim. Geöffnet ist das Narrenmuseum täglich von 14 bis 17.30 Uhr. Sonn- und feiertags zusätzlich von 10 -12 Uhr (Tel. 07726/64287).
 
Unser Buchtip für Fasnettrips:
 
Werner Mezger, Sonja Schrecklein, Thomas Hafen
Führer durch die schwäbisch-alemannische Fasnet
Narrenfiguren, Termine, Veranstaltungen
 
Das farbig bebilderte Buch der beiden Fasnets-Fernsehmoderatoren Werner Mezger und Sonja Schrecklein bietet eine Übersicht über das bunte Narrentreiben landauf landab. Das ist ein Führer durch die Fasnetswelt in Baden-Württemberg. Narrengericht und Elfimessen, Tschättermusik und Bach-na-Fahrt, Schrätteletanz und Brunnensprung, Hebammenrennen, Hanselesuchen und Hexensabatt - es gibt 999 Gelegenheiten, zuzuschauen oder sich mitreißen zu lassen...
Die informativen ud zugleich unterhaltsamen Texte erklären das Geschehen an den wichtigsten Narrenorten des Landes und beschreiben die faszinierenden Gestalten der schwäbisch-alemannischen Fasnet.
  Besonderes Augenmerk gilt dabei dem Schmutzigen Donnerstag, an dem die Fasnet ihren Auftakt hat, und dem Aschermittwoch, an dessen Vorabend sie verbrannt, ertränkt oder gar in einem Misthaufen vergraben wird.
 
120 Seiten mit ca. 20 Farbabbildungen, 12 x 19,4 cm. Kartoniert. DM 24,80.
 
ISBN 3-8062-1335-6
 
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Unser Hörtip:
 
CD -Narri-Narro
 
Schwäbisch-alemannische Narrenmärsche
 
Zum 75-jährigen Bestehen der Vereinigung Schwäbisch-Alemannischer Narrenzünfte hat die älteste Narrenvereiniung Südwestdeutschlands eine CD mit 31 traditionellen Narrenmärschen aus Baden-Württemberg herausgegeben.
Schellen, Peitschen, Karpatschen und Klepperle bilden einen unverwechelbaren Klangteppich, bei dem die Blasmusik nicht fehlen darf. Mit neuen Aufnahmen in digitaler Qualität präsentiert die Vereinigung Schwäbisch-alemannischer Narrenzünfte Narrenmärsche von A wie Aulendorf über Bad Waldsee, Oberndorf, Sigmaringen, Tettnang und natürlich Schömberg und Rottweil bis hin zum Wolfacher Michelesmarsch. Der Musikverein Obernheim und die Stadtmusik Elzach besorgten in hoher Qualität diese Aufnahmen.

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