|
Berichte
Ausverkauf der Landesgeschichte
Grundschulen droht Heimatferne
Touristen im Schlafzimmer unerwünscht
Trachtenfest der Tausende
Ausverkauf der Landesgeschichte
gegen Streichung der Professur für Landesgeschichte an der
Universität Stuttgart
Gerade sechs Monate nach der feierlichen Eröffnung des Hauses
der Geschichte soll an der Universität Stuttgart der Lehrstuhl
für Landesgeschichte gestrichen werden.
Nach Plänen des Wissenschaftsministeriums soll die Stelle des
renommierten Landeskundlers Prof. Dr. Franz Quarthal nach dessen
Ausscheiden nicht wieder besetzt werden. Der Senat der Universität
Stuttgart soll am 3. Juli 2003 über die Streichung entscheiden.
In einem Brief an den Rektor der Universität, Prof. Dr.-Ing.
Dieter Fritsch und an den baden-württembergischen Minister
für Wissenschaft, Forschung und Kunst, Prof. Dr. Peter Frankenberg,
protestierte Martin Blümcke, der Vorsitzende des Schwäbischen
Heimatbunds, energisch gegen die geplante Streichung: „Der
Hauptstadt eines geschichtsbewussten Landes steht es gut an, die
Möglichkeit zu besitzen, landesbezogene Geschichte vom Mittelalter
bis zur Jetztzeit zu erforschen und zu lehren, wie es Professor
Quarthal in überzeugender Weise tut“, schreibt Blümcke
in seinem Protestbrief. Zwar gebe es in Freiburg und Tübingen
vergleichbare Lehrangebote. In Freiburg sei aber die Geschichte
bis zum Mittelalter beschränkt, so Blümcke weiter. Zudem
könnten die Wissenschaftler und Studierenden in Stuttgart unmittelbar
mit wichtigen zentralen Einrichtungen, wie dem Haus der Geschichte,
dem Hauptstaatsarchiv, dem Württembergischen Landesmuseum oder
dem Theodor-Heuß-Haus zusammen arbeiten. Zum SWR, Hörfunk
wie Fernsehen habe die Abteilung Landesgeschichte am Historischen
Institut der Universität fruchtbare Kontakte. Universität
und Wissenschaftsministerium fordert der Schwäbische Heimatbund
auf, die Pläne zurück zu nehmen und den Lehrstuhl für
Landesgeschichte unbefristet zu erhalten.
(shb)
Grundschulen
droht die „Heimatferne“
Nach den Plänen der baden-württembergischen Landesregierung
soll der Heimat- und Sachkundeunterricht als eigenständiges
Fach aus der Prüfungsordnung für Grund- und Hauptschullehrer
gestrichen werden. Die Mitgliederversammlung des Schwäbischen
Heimatbunds erwartet massive Nachteile für Schüler und
Lehrer und fordert die Landesregierung auf, die Entscheidung zurückzunehmen.
Bereits ab Herbst 2003 sollen Studierende für das Lehramt an
Grund- und Hauptschulen das Fach Heimat- und Sachkunde nicht mehr
als eigenständiges, fächerübergreifendes Prüfungsfach
wählen können. Ziel dieser „Universitarisierung“
der Pädagogischen Hochschulen sei nach Ansicht des Vereins,
den Einsatz von künftigen Grundschullehrern an den Hauptschulen
zu erleichtern. Auf Kosten der pädagogischen Qualität
der Grundschulen solle damit der Lehrkräftemangel an den Hauptschulen
verringert werden, befürchtet der Schwäbische Heimatbund.
Bislang befassen sich die zukünftigen Heimat- und Sachunterrichtslehrer
– zum Beispiel an der Pädagogischen Hochschule in Weingarten
– intensiv mit dem Begriff Heimat, ihrem eigenen Heimatverständnis
und den einzelnen Bereichen, die Heimat ausmachen. Etwa mit der
Pflanzen- und Tierwelt, den Landschaftsformen, dem Thema Zuwanderung
und Vertreibung oder mit der geschichtlichen Entwicklung in Baden-Württemberg.
Diese Kenntnisse setzen sie später in einem fächerübergreifenden
Unterricht um, der den Lernbedürfnissen der Schüler entgegenkommt.
Nach dem Willen der Landesregierung soll der Heimat- und Sachunterricht
nicht mehr eigenständig interdisziplinär, sondern nur
noch als Bestandteil eines auf einzelne Fächer ausgerichteten
Studiums gelehrt werden. Grundlegende oder breitere Kenntnisse über
Baden-Württemberg werde man von den Grundschullehrerinnen und
–lehrern neuen Typs nicht mehr erwarten können, so Martin
Blümcke, Vorsitzender des Schwäbischen Heimatbunds.
Die geplanten Änderungen widersprechen nach Ansicht des Heimatbunds
einem, auch von Politkern und Pädagogen geforderten, fächerübergreifenden
und heimatbezogenen Unterricht an Grundschulen, der sich mehr an
Themen als an Fächern ausrichten soll. Auch dem neuen Bildungsplan,
der zum Schuljahr 2004/2005 in Kraft treten soll, und der eine noch
stärkere Orientierung an Themen vorsieht, laufe die geplante
Änderung der Lehrerausbildung zuwider. Wie sollen Lehrkräfte
die Heimat der Kinder projektorientiert zum Unterrichtsthema machen,
wenn in ihrem Studium das Thema Heimat überhaupt nicht behandelt
wird, fragt man sich beim Heimatbund.
Nicht zuletzt würden die im Heimat- und Sachunterricht erworbenen
Kenntnisse es den Kindern ermöglichen, zu mündigen und
kreativen Bürgern heranzuwachsen, die sich für ihre Umwelt
und die Entwicklung des Landes verantwortlich fühlen, sich
später ehrenamtlich in Vereinen engagieren und so am Gestaltungsprozess
der Gesellschaft aktiv teilnehmen. Angesichts einer in Herkunft
und Nationalität vielfältig zusammengesetzten Schülerschaft
leiste der Heimat- und Sachunterricht an den Schulen einen wichtigen
Beitrag zur Integration und Verständnis untereinander.
Vorstand wiedergewählt
Die in Weingarten anwesenden Mitglieder des Schwäbischen Heimatbundes,
wählten bei den turnusmäßig anstehenden Wahlen den
bisherigen Vorstand um den Vorsitzenden Martin Blümcke einstimmig
für weitere drei Jahre. Stellvertretende Vorsitzende bleiben
Prof. Dr. Wilfried Setzler und Dr. Walter Kilian.
Touristen
im Schlafzimmer unerwünscht
Ein Dorf in Baden soll zum Freilichtmuseum werden, doch nicht alle
Bewohner wollen Inventar sein
Mit der Ruhe im Flecken ist es vorbei. Seit bekannt ist, dass das
Badische Landesmuseum in Karlsruhe an Plänen arbeitet, aus
dem Kraichgauörtchen Sprantal mitsamt seinen Bewohnern ein
„lebendes“ Freilichtmuseum zu machen, zieht sich ein
tiefer Graben durch das Dorf. Anders als die Stadtoberen beteuern,
ist der Beifall einiger Sprantaler für die Idee eher verhalten.
Das Dorf liegt auch am späten Vormittag noch wie verschlafen
in der Talsenke. In Sprantal, einem Ortsteil von Bretten, leben
rund 380 Menschen. Doch genau genommen verbringen die meisten hier
nur die Nacht. Denn Arbeit gibt es in der kleinen Kraichgauortschaft
kaum. Einen Laden sucht man hier vergebens, am Ortsrand steht der
letzte Bauernhof, Handwerker haben sich nur wenige angesiedelt.
Wer hier wohnt, fährt ins Büro nach Bretten oder Pforzheim.
Rechts und links der Ortsstraße, die keine 200 Meter lang
ist, stehen die alten Fachwerkhäuser aus dem 18. und 19. Jahrhundert,
die Ende vergangenen Jahres so unvermittelt in den Fokus von Landeshistorikern
und Tourismusexperten gerückt sind. Etwa zehn davon sind unbewohnt
- unschwer zu erkennen an zerbrochenen Fensterscheiben, eingedrückten
Giebeln und eingetretenen Türen. Sonnenstrahlen bahnen sich
durch marode Dächer ihren Weg. Idyllisch muten zwischen all
dem Verfall höchstens die alte Linde bei der Dorfkirche und
zwei Misthaufen an, die vor sich hin dampfen. Einige der Gebäude,
die noch bewohnt sind, machen einen kaum besseren Eindruck.
In einer sperrangelweit offenen Scheuer hängen an diesem Morgen
vier Schweine an vier Haken. Ein Schlachter schneidet fette Schinken
aus den Tieren. Der Nebenerwerbsbauer, in dessen Stall die Sauen
bis gestern noch grunzten weiß, was die meisten Leute in der
Straße von dem geplanten Freilichtmuseum halten: nichts. „Wie
stellen die sich das vor?“, fragt der Mann und schüttelt
dabei heftig mit dem Kopf. „Sollen wir unsere Türen offen
stehen lassen und die Besucher durch das Schlafzimmer führen?“
Schon ist von jährlich bis zu 300 000 Besuchern die Rede, die
das zwar historisch einmalige, aber eben in großen Teilen
völlig verwahrloste Ensemble aus Kirche, Rathaus, alten Scheuern,
Milchhäusle und Viehwaage besuchen sollen. Einen Vorgeschmack
auf die Zukunft als lebendes Ausstellungsinventar bekommen die Bewohner
der Ortsstraße bereits heute. „Seit das mit dem Museum
die Runde gemacht hat, ist es an den Sonntagen vorbei mit der Ruhe“,
sagt eine der wenigen jüngeren der rund 80 betroffenen Bewohner,
die in der Ortsstraße leben.
Die Vorgänge im Brettener Rathaus, wo Oberbürgermeister
Paul Metzger und Sprantals Ortsvorsteher Kurt Kraus kräftig
die Werbetrommel für das Projekt rühren, verfolgt die
junge Frau skeptisch: „Demnächst“, erzählt
sie, „sollen wir uns ein ähnliches Museum im elsässischen
Ungersheim anschauen.“ Die Busfahrt nach Frankreich spendiere
das Rathaus in Bretten. „Ohne die Zustimmung der Sprantaler“,
weiß auch Ortsvorsteher Kraus, „wird es nichts aus dem
Kraichtaler Freilichtmuseum.“
Die Mehrheit der 380 Sprantaler ist freilich längst für
die Sache gewonnen. Denn der weitaus größere Teil des
Dorfes liegt oberhalb des alten Stadtkerns. Oben, im Neubaugebiet,
hat sich schon Vorfreude breit gemacht. Das Freilichtmuseum gilt,
wie OB Metzger sagt, „als letzte Chance für das Dorf“
auf der Grenze zwischen den ehemaligen württembergischen und
kurpfälzischen Territorien. „Noch 1956 haben nur zwei
Sprantaler außerhalb des Orts gearbeitet“, beschreibt
Ortsvorsteher Kraus den schleichenden Niedergang des Fleckens. „1960
gab es noch 40 Höfe in Sprantal.“ Danach sei es bergab
gegangen.
Warum Sprantal unter Historikern als historisches Kleinod ersten
Ranges gilt, erklärt der Leiter des Badischen Landesmuseums,
Professor Harald Siebenmorgen: Demnach war das Dorf im Grenzgebiet
bis zum frühen 19. Jahrhundert mit einem so genannten Bannzaun
belegt, der die Ausdehnung, sprich den Bau neuer Häuser, untersagte.
Wurde der Wohnraum zu eng, behalfen sich die damaligen Bewohner
mit kleinen Anbauten an die bereits bestehenden Gebäude. „Eine
außergewöhnliche Situation“, urteilt Siebenmorgen,
in dessen Haus eine Machbarkeitsstudie für das Freilichtmuseum
auf den Weg gebracht wurde.
Dass so viel Geschichtsträchtigkeit erhaltenswert ist und die
Fachwerkhäuser dringend restaurierungsbedürftig sind,
bezweifelt inzwischen kaum einer mehr in Sprantal. Doch bei nicht
wenigen in der historischen Ortsstraße ist mittlerweile auch
der Zweifel gereift, ob ein Freilichtmuseum der richtige Weg ist.
„Die Befürworter aus dem Neubaugebiet wären ja selbst
nicht betroffen“, gibt der Teilzeitlandwirt zu bedenken. Dass
künftig neugierige Touristen zuschauen, wie er seine Schweine
an die Haken hängt, sei ihm ein Gräuel.
Anders als Brettens Oberbürgermeister Metzger - in Personalunion
Vorsitzender der Tourismusgemeinschaft Kraichgau-Stromberg -, der
gerne die ungeteilte Zustimmung der Sprantaler zu dem Projekt betont,
sprechen die Bewohner in der Ortsstraße schon von einem großen
Graben, der sich durchs Dorf zieht. Der kann noch tiefer werden.
Zeit genug ist: Das Freilichtmuseum würde frühestens in
acht bis zehn Jahren seine Tore öffnen.
Aus: Stuttgarter Nachrichten vom 12.03.03
Brauchtum/Tradition ist nicht gleich Traditionalismus
Trachtenfest
der Tausende
Bollenhut und Hirschlederhose / Diskussion über Tabledance
bei Heimattagen
Bad Dürrheim. Ein buntes Bild der Heimat „Aufrecht und
stolz wie’s Baaremer Holz“ standen da Männer und
Frauen im festlichen Gewand: Standestrachten alter Zeit, in demokratisierten
Zeiten des Folklorismus als Ausweis lokaler Identität und demonstrierter
Zugehörigkeit. Für die Bewahrung des Eigenen tritt der
Trachtengau Schwarzwald ein, der bereits zum dritten baden-württembergischen
Trachtenfachmarkt rund ums Rathaus lud. Dem Schindelmacher konnte
man da über die Schulter schauen; den Weg vom Flachs zum Leinen
mitverfolgen vom Brechen bis zum Weben, dem Blaudruck beiwohnen,
den Korbmacher wie den Strohschuhflechter ob seiner Geduld bewundern,
Besen- und Bürstenbinder zusehen, beobachten, wie der Drechsler
dem Holz die gewünschte Form abgewann; lernen, wie Dudelsack
und Drehleier entstehen; einen (Mund) Harmonikabauer bei der Arbeit
beobachten. Oder der Frauen Fingerfertigkeit bewundern, wenn sie
Weißspitzen klöppeln – oder Gold- und Silberfäden
für die prächtigen Hauben, die beweisen, dass nicht nur
(Pfauen- )Männchen ihr Rad schlagen ... Der Freund der „Volkstracht“
aber durfte sich von Kopf bis Fuß neu einkleiden; Schuhe,
Strümpfe – eher Marke „hauchzart“ denn aus
kratzendem Wollgras gestrickt, Hemd und Hose (aus sämisch gegerbtem
Hirschleder womöglich) sich erwerben, gut behütet in der
Heimat dank der Hauben, Chapeaus und Schappeln oder Schäppeln,
Hüte mit und ohne Bollen, manchmal voller Flitter, Granat und
Perlen für zierliche Frauenhälse, dazu aller Sorten Stoffe,
Bänder, Blusen und Pailletten, Chenille, Samt und Seide für
kuschelweiches Wohlgefühl.
Auch die Diskussion über Tabledance bei Heimattagen, frei nach
dem Motto „Wenn im Saal die Hippen strippen . ..“, kam
nicht zu kurz. Da wurde die Frage nach der Vereinbarkeit von Kultur
und Kommerz laut. Werner Mezger sprach über „Traditionspflege
im Zeitalter der Globalisierung“ von Trachtenträgern,
denen er bescheinigt, dass sie „nicht an einer Horizontverengung
auf das Altertümliche leiden, sondern als Brauchpfleger sich
ernsthaft mit der Welt auseinandersetzen“. Von Tradition war
da die Rede, nicht von Traditionalismus. Im von Hektik erfüllten
Warteraum der Zukunft werde die Gegenwart vergessen; Fließend
geworden seien die Übergänge von Heimat und Welt: Wo Räume
schrumpfen, weiten sich die „Heimat-Kreise“, die sich
über die Dinge ziehen. Die „primären Ordnungskategorien
des kulturellen Gedächtnisses“ rief der engagierte Wissenschaftler
in Bad Dürrheim in Erinnerung, will der „Veralzheimerung
unserer Gesellschaft“ wehren. Das versteht der Volksmusiker
und freut sich, greift danach zum Instrument. Nach soviel Anerkennung
warb der Trachtengau Schwarzwald vermehrt für seine Jugendarbeit:
„Wir nehmen die Zukunft in die Hand“ – in der
multikulturellen Gesellschaft die Losung keineswegs rückwärts
gewandter Utopisten, denen Tracht, Tanz, Musik und Mundart politische
Aufgabe, vor allem aber Herzensangelegenheit ist. Die Muettersproch-Gsellschaft
fragte den Kenntnisstand ab, verglich den Schwenninger und Villinger
Wortschatz. Noch später ertönte in lauer Frühsommernacht
der Schneewalzer bei Schunkelrunden.
Michael Zimmermann
Aus: Die Neckarquelle vom 26.05.03
|
|