heimatzunft | heimatpfleger


haspel-press

Wer hat wann die Hosen an?

Zur Geschichte des weiblichen Beinkleids


Haspel-press ist der Pressedienst der Tübinger Vereinigung für Volkskunde unter dem Vorsitz von Prof. Hermann Bausinger
 
An der Eingangstür eines exklusiven Londoner Hotels spielte sich folgende Begebenheit ab: Eine bekannte deutsche Schauspielerin, gekleidet in einen festlichen Hosenanzug, wollte das Hotel betreten. Der Portier wies sie mit der Bemerkung "Damen tragen in London am Abend keine Hosen" hinaus. Eine Geschichte aus dem letzten Jahrhundert? Weit gefehlt, der "Hosenskandal" trug sich im Jahre 1969 zu, die gescholtene Dame hieß Senta Berger. Übrigens erschien sie kurz darauf erneut, dieses Mal in einem Superminikleid, und passierte problemlos den englischen Tür- und Anstandshüter.
Die Wahl zwischen Hose und Rock ist also bei weitem nicht "Jacke wie Hose", sondern stets nach kulturellen Konventionen festgelegt. Während berockte Männer in der westlichen Kultur selten zu sehen waren, bemühen sich Frauen seit etwa zweihundert Jahren um die Hose und produzierten damit bis in die sechziger Jahre so manchen Skandal. Hose und Rock waren nicht beliebig austauschbar, sondern geschlechtsspezifische Attribute. Das Tragen der Hose war in unseren Breitengraden seit dem Spätmittelalter ein strikt männliches Vorrecht.
Wie sehr diese Festschreibung kulturell geprägt ist, verraten die Bekleidungssitten anderer Länder. Aber auch ein Blick zurück auf unseren eigenen Kulturkreis und die Geschichte der "Hosenaneignung" durch die Frauen geben darüber Auskunft. Die Historikerin Gundula Wolter hat die Kulturgeschichte der Frauenhose aufgearbeitet und immer wieder interessante Parallelen zwischen der Geschichte der Emanzipation und der Hose als Bekleidungsstück der Frauen aufgedeckt. Sie stellt fest: "Kleidung ist bekanntlich nicht nur Kleidung, sondern immer zugleich Verkleidung. Wie sich Frauen und Männer (ver)kleiden, hängt davon ab, welche Rolle sie zu spielen beabsichtigen oder zu spielen haben."
Der Beginn des "Kampfes um die Hose" fand etwa zeitgleich mit den großen politischen Umbrüchen der Französischen Revolution statt. Die Parole von "Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit" nahmen etliche Frauen nicht nur als Aufruf zur Befreiung von Monarchie und Ständeherrschaft. Sondern auch als Möglichkeit, mit der männlichen Vormachtsstellung zu brechen. Die neue Bewegungsfreiheit wurde nicht selten in Hosen und festem Schuhwerk erprobt, so dass der Franzose Mercier 1801 irritiert beklagte: "wer will dem festen Grenadierschritt unserer jetzigen Damen seinen Arm zur Hülfe bieten?"
 
Mit dem selbstständigen Voranschreiten der Frauen war jedoch Anfang des 19. Jahrhunderts wieder Schluss. Häuslichkeit, Mütterlichkeit und Anmut hießen vor allem in bürgerlichen Kreisen die neuen, alten Tugenden der Frau. Freilich blieb das Hosenmonopol der Männer angeknackst. Als erste, natürlich in Paris propagierte Frauenhosenmode können wohl die Pantalons, eine Art Strumpfhose "von fleischfarbigem seidnem Zeug" bezeichnet werden, die unter den hauchzarten Chemisenkleidern der Empirezeit getragen wurden und zumindest einige Blößen dieser als "Nudistenmode" verschrieenen Tracht verdeckten. Aus gesundheitlichen Erwägungen plädierten einige Ärzte für die Einführung von "Calecons", warmen Unterhosen - nun auch für Frauen, um "die Gesundheit des niedlichsten Geschlechts zu erhalten". In der Restaurationszeit verschwanden die Beinkleider der europäischen Damen wieder unter der Oberfläche der Überbekleidung. Die "einfachen" Frauen aus dem Volk trugen auch weiterhin Hosen als Arbeitskleidung, sei es als Landarbeiterinnen oder Fischerinnen.
Erst 1851 entzündete die Amerikanerin Amelia Bloomer mit einigen ihrer frauenrechtsbewegten Mitstreiterinnen eine auch in Europa heftig geführte Grundsatzdebatte um das "Frauenrecht auf Hosen". Das Bloomer-Kostüm bestand aus einem weiten, kurzen Kleid, unter dem knöchellange Hosen getragen wurden - was nicht nur der Gesundheit, sondern auch der Beweglichkeit der Frauen sehr zugute kam. "Falls Männer der Meinung sind", so Bloomer ironisch, "es wäre ihnen bequem in langen, schweren Röcken, lasst sie sie tragen - wir haben nichts dagegen. Wir fühlen uns wohler ohne sie und haben sie deshalb abgelegt." Viele Frauen in den USA, aber auch in Europa befürworten zwar das Reformkleid, fanden aber nicht den Mut, sich damit in der Öffentlichkeit zu zeigen.
Als Ende letzten Jahrhunderts die Diskussion um die Kleiderform auch in Deutschland geführt wurde, zeigten sich bald deutliche Veränderungen. Dies lag nicht zuletzt an der Turn- und Sportbewegung, die praktische Kleidung erforderlich machte. Ob reitend, turnend, schwimmend oder bergsteigend - sportlich engagierte Frauen entledigten sich zusehends der unbequemen und beim Sport nicht selten gefährlichen Röcke und turnten in Hosenrock und "Beinkleid". Immer mehr Frauen standen finanziell auf eigenen Beinen und stellten diese in der Mode der zwanziger Jahre auch selbstbewusst zur Schau. Die moderne Frau zeigte Bein, die Röcke rutschten in die Höhe, und figurbetonende Hosenanzüge waren en vogue. Dieser Entwicklung konnten auch die Nationalsozialisten keinen Einhalt gebieten. Als im Verlauf des Krieges viele Frauen, ähnlich wie bereits im ersten Weltkrieg, die Arbeitsplätze der Männer einnehmen mussten, leisteten sie diese Arbeit selbstverständlich in Hosen. Die Alltagsmode allerdings orientierte sich auch weiterhin an Rock und Kleid. Der endgültige Durchbruch der Frauenhose kam in erster Linie durch die junge Frauengeneration der fünfziger Jahre, die sich die Hosen nicht mehr nehmen lassen wollte. So stellt ein Modejournalist 1951 fest, dass "dieses bisher verworfene Kleidungsstück nunmehr hochoffiziell anerkannt ist." Freilich sollte es noch zwei weitere Jahrzehnte dauern, bis aus der Modelaune für junge Damen ein völlig normaler Bestandteil der Alltagskleidung geworden war. Bleibt zu fragen, wann die Männer mit derselben Selbstverständlichkeit, mit der Frauen heute in Hosen schlüpfen, ihr "Recht auf Rock" einfordern werden.

Seitenanfang