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Das Interview


Wir befragen führende Köpfe der Brauch- und Heimatszene Baden-Württembergs zur aktuellen Situation der Heimatplege im Land. In unregelmäßiger Folge möchten wir die Antworten hier vorstellen.
 
Jürgen Hohl
Sprecher des Kulturellen Beirates der Vereinigung Schwäbisch-Allemannischer Narrenzünfte, oberschwäbischer Trachtenexperte, textiler Restaurator und Inhaber des Ateliers für künstlerische Gestaltung.
 
Zur Person:
Geboren 1944 in Weingarten, Ausbildung als Friseur, Damenhutmacher, Kaufmann. Gründer des oberschwäbischen Trachtenmuseums, Schöpfer zahlreicher neuer Narrenfiguren im Land, Mitmoderator der SWR-Reihe "Wie's der Brauch isch", Restaurator des berühmten Münchner Kindls und verschiedener barocker Klosterkrippen:
 
HP: 1. Aus welcher Motivation heraus engagieren Sie sich?
 
Schon als kleiner Junge kam ich im Hutsalon meiner Mutter mit Kleidung deren Utensilien in Berührung. Schon früh wurde mir bewusst, daß Kleidung entstellen oder schöner machen kann. Der Begriff "Kleider machen Leute" gewann so Hintergrund. Nicht zuletzt durch den barocken Kultus im Kloster Weingarten, speziell im Gottesdienst lernt ich auch den Reichtum von Form, Farbe und weiblicher Handarbeit kennen. Es war für mich interessant festzustellen,wie eine geistliche Idee in einer Kleidung ausgedrückt werden kann. Durch Farbe der Meßgewänder zu den verschiedenen Feiertagen und durch Symbolik in der Stickerei. Verblüfft stellte ich fest, daß diese Impulse von Gold und Silber, Farbe und Reichtum auch in der sog. "Volkstracht" vorkamen und eine gewisse Bedeutung hatte. Bei uns in Weingarten war allerdings die Frauentracht Bestandteil in der Fasnet. Dagegen wehrte ich mich im Lauf der Jahre immer mehr. Denn für mich war Tracht in der Fasnacht allein verschenkt. Als Kleidung der Altdorf-Weingärtler Bürger für festliche Anlässe im weltlichen und kirchlichen Jahreslauf schien mir die Tracht besser geeignet. Darum gründete ich mit gleichgesinnten 1975 die Altdorfer Trachtengilde. Aus Liebe zur Heimat und zur Geschichte meiner Region befasste ich mich mehr und mehr mit der Geschichte der Volkskleidung in den verschiedenen Ständen und zu den verschiedensten Anlässen. Die Fasnet ist hier eingeschlossen.
 
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HP: 2. Wie beurteilen Sie die derzeitige Situation der Brauchtums- und Heimatpflege in Baden-Württemberg?
 
Man könnte sie vergleichen mit einer Insel im Meer der anonymen Masse. Allerdings ist diese Insel systematisch zersiedelt in Verbandsinteressen. Durch allzu strenge ideologische Richtlinien und Verhaltenscodices wird die Freude am Brauchtum geschwächt. Raum für Spontaneität wird durch den Weg durch die Verbandsinstanzen eingeengt. Neidvoll blicken wir über den Zaun ins Bayrische und stellen fest, daß München durch eine zentral gesteuerte und verwaltete Heimatpflege sowohl inhaltlich, wie auch finanziell wesentlich koordinierter und dadurch auch effektiver vorgehen kann. Ein Bündelung der Kräfte würde der baden-württembergischen Heimatpflege gut tun.
 
HP: 3. Welche Chancen sehen Sie in der Zukunft?
 
Brauchtum und Heimatpflege bieten durch die Empfindung einer regionalen Identität die Chance, sich vom durch Anglizismen geprägten Einheitsbrei zu entfernen. Das individuelle der Heimat und der Landschaft kann neu ergründet werden. Dazu bedarf es aber von übergeordneten politischen Gremien einer gezielteren didaktischen Entwicklungsförderung schon in den Schulen.
 
HP: 4. Was bedeutet Ihnen persönlich Heimat?
 
Alles! Ich bin ein barocker Oberschwabe mit Leib und Seele!
 
HP: 5. Hat der Inhalt des Wortes "Heimat" in unserem heutigen Medienzeitalter noch eine Zukunft?
 
Ja, aber das muß man deutlich machen, in dem man zum christlichen Jahresablauf steht; in dem man die Feste feiert, wie sie fallen und nicht willkürlich festsetzt. Heimat bedeutet aber auch, sich den Problemen zu stellen, versuchen, Lösungen herbeizuführen, ohne die Heimatlandschaft zu beschädigen.
 
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HP: 6. Sind Heimat und Brauchtum genügend in den Medien präsent?
 
Ja, zum Teil sehr gut, wenn ich z.B. an die Fasnachtszumzüge, an die Heimattage etc. denke. Lange Zähne bekomme ich bei Sendungen wie "Musikantenstadl" und "Mundart und Musik" um nur einige zu nennen.
 
HP: 7. Es wird derzeit immer mehr über die mangelnde Bereitschaft, sich an Vereine zu binden berichtet. Können Sie sich andere Formen, Brauchtum zu pflegen vorstellen und wenn ja, welche?
 
Ja, aber es beinhaltet immer eine Initialzündung eines Einzelnen, der Gefolgschaft sucht.
 
HP: 8. Ein großer Teil der Jugend steht der Heimatpflege kritisch bis ablehnend gegenüber. Welche Wege müssen wir gehen, um unseren Nachwuchs zu sichern?
 
Heimat muß man der Jugend verständlich und erfahrbar machen. Dazu gehört auch eine rechtzeitige Einbindung in die Führungen der Heimatvereine und -verbände.
 
HP: 9.Die Begriffe Vermarktung, Kommerzialisierung, und Sponsoring gewinnen auch in der Vereinsarbeit immer größere Bedeutung. Wie stellt sich dies in unserem Bereich dar?
 
Hier bedarf es eines guten Fingerspitzengefühls. Kaum ein Verein kann ohne finanzielle Unterstützung auskommen. Anbringen von Logos an Trachten, Fasnachtshäsern oder Musikuniformen scheidet in jedem Fall aus.
 
HP: 10. Was würden Sie, wenn Sie die Möglichkeit hätten, sofort verändern?
 
Ich würde eine zentrale Heimatpflegestelle mit hauptamtlichen Fachleuten sehr begrüßen. Das Kultusministerium des Landes Baden-Württemberg müßte eine solche Stelle schaffen, eine gewisse Kontrollfunktion ausüben und die fachliche Arbeit der Verbände koordinieren. Inhaltliches muß unbedingt vor Ideologischem stehen. Vor allem die Kluft zwischen badischen und württembergischen Verbänden muß überbrückt werden.

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