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Geneigter Leser
gleich zwei Verbände der baden-württembergischen Heimatpflege
haben in der letzten Zeit die Sinnfrage in Form einer Podiumsdiskussion
gestellt. Im Oktober lud der Trachtengau Schwarzwald zu einer gut
besuchten Podiumsdiskussion zum Thema "Trachtenbewegung quo
vadis", deren Beiträge und Ergebnisse Sie stichwortartig
auf den folgenden Seiten lesen können. Ende April lud die Arbeitsgemeinschaft
der Sing-, Tanz- und Spielkreise im Rahmen der Feierlichkeiten zu
ihrem 50-jährigen Bestehen zu einer Podiumsdiskussion "Wie
ist Volkstanz- und Brauchtumspflege im 21. Jahrhundert noch zeitgemäß?"
Daran beteiligt waren Hans-Jörg Brenner als Vertreter der Internationalen
Union der Folklorevereinigungen, Helga Preuss, Volkstanzreferentin
der deutschen Gesellschaft für Volkstanz, Dr. Erich Sepp vom
Bayerischen Landesverband für Heimatpflege, Eva Sollich, die
ehemalige Leiterin des Tanzhauses in Benshausen/Thüringen,
Götz Zinser, Volkstanzreferent der AG, und meine Wenigkeit.
Offensichtlich beginnt in der baden-württembergischen Heimatpflege
eine sich langsam entwickelnde Neuorientierung nach jahrzehntelanger
lethargischer Verharrung in Selbstgefälligkeit - und das ist
gut so.
In einer sich immer schneller wandelnden Welt ist es wichtig gefestigte
Positionen zu besetzen und inhaltliche Eckpunkte zu markieren. Es
ist aber mindestens genauso wichtig, sich den Veränderungen
anzupassen, um nicht irgendwann von der Gegenwart gebrochen zu werden.
Es liegt nun an den Verbänden, sich zum einen inhaltlich neu
zu orientieren, zum anderen aber auch in der Struktur, in der Organisation
und Zusammenarbeit neu zu organisieren. Da müssen überkommene
Begriffe, Veranstaltungen und Formen geopfert werden und neue, zeitgemäße,
aber an der Tradition orientierte Wege beschritten werden.
Kann es denn im Sinn der Volkstanzpflege sein, dass an Sonntagnachmittagen
tanzbegeisterte Menschen teils über einhundert Kilometer zu
einem "Volkstanzfest" anreisen, um in vier Stunden komplizierte
und schwierigste Figurentänze zu tanzen, für die man mindestens
sechs Wochenendkurse belegen muss, um mit den "Volkstanzprofis"
Schritt halten zu können?
Geht Volkstanz heute womöglich nur noch mit Training? Deshalb
die Turnhalle? Oder sollte man nicht besser zurück zu den Wurzeln
in die Keimzelle der musikalischen Traditionen - in das Wirtshaus,
in dem man sich mit den einfachen Rundtanzformen und ganz wenigen
Figurentänzchen begnügtt, damit aber auch wieder Menschen
außerhalb der Volkstanzpopulation erreichen kann?Herzlichst
Ihr
Wulf
Wager
Redaktionsleiter
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