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Das Interview: Götz Zinser


Wir befragten führende Köpfe der Brauch- und Heimatszene Baden-Württembergs zur aktuellen Situation der Heimatpflege im Land. In unregelmäßiger Folge möchten wir die Antworten hier vorstellen.
 
Heute:
Götz Zinser
2. Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft der Sing- Tanz- und Spielkreise in Baden-Württemberg e.V.
 
Zur Person:
Geboren 1962 in Herrenberg, Abitur, Oberleutnant der Reserve, Operator bei IBM, Handwerkslehre als Bau- und Kunstschlosser, Meisterbrief als Metallbaumeister, Schweißfachmann. Kontakt mit Volkstanz und Brauchtum in Kinder-, Jugend- und Volkstanzgruppe des Schwäbischen Albvereins Herrenberg, Tanzleitung bei der Landjugend Kreis Böblingen, Trachtengruppe Wurmlingen (AG und Trachtengau Schwarzwald), "Tanzleut" Dachtel (AG Schwarzwaldverein), Südwestdeutscher Spielkreis 2 (AG), langjähriger Fahnenschwingreferent der AG, langjähriges Vorstandsmitglied und 2. Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft der Sing-, Tanz- und Spielkreise in Baden-Württemberg e.V. (1991-2000), Volkstanzreferent der AG, Leiter der jährlichen Volkstanzwoche der AG.
 
HP: 1. Aus welcher persönlichen Motivation heraus engagieren Sie sich?
 
Nachdem schon mein Vater und auch meine Mutter Volkstanzleiter waren, zudem mein Vater langjähriger Vertrauensmann einer Ortsgruppe des Schwäbischen Albvereins, bin ich quasi in die Natur-, Brauchtums- und Volkstanzarbeit mit hineingewachsen. Gerade am Volkstanz begeistert mich die Mischung aus Bewegung, Kommunikation, Brauchtumsverbindung, Gemeinschaft, Spaß und dass ich dabei meine Frau kennengelernt habe. Mittlerweile bin ich auch Volksmusikant (Akkordeon), organisiere verschiedene Arbeitstreffen, Seminare und bin an verschiedenen Orten Referent an denselben und habe (durch Tanzleitung weniger Tanzgelegenheit) mehr Freude daran, dass andere wiederum Spaß am Volkstanz haben.
 
HP: 2. Wie beurteilen Sie die derzeitige Situation der Brauchtums- und Heimatpflege in Baden-Württemberg?
 
Durch jahrzehntelange, gewachsene Strukturen erscheint die Brauchtums- und Heimatpflege in Baden-Württemberg für Außenstehende undurchsichtig, deckt aber aufgrund ihrer Bandbreite und Differenzierung vielfältig in allen Bereichen und Nischen alles mögliche ab. Andererseits verzetteln und überschneiden sich viele Verbände und Organisationen mit der Herausgabe von Veröffentlichungen, Seminaren etc., was unnötige Energie und Geldmittel verzehrt. Absprachen, Koordination und gemeinsame Maßnahmen scheitern an Verbandsdünkel oder mangelnder Kommunikation.
 
HP: 3. Welche Chancen sehen Sie in der Zukunft?
 
In der Arbeitsgemeinschaft ist der Übergang der Generationen weitgehend geglückt, das ist eine Chance. Andererseits ist die Belastung - auch in Zukunft am Topf der Landeszuschüsse zu hängen - keine Chance, sondern eher Verpflichtung, so weiter zu machen wie bisher. Gelegenheiten muß man ergreifen, wenn sie da sind, ich sehe aber im Moment keine.
 
HP: 4. Welche Schwerpunkte sollen für die Zukunft gesetzt werden?
 
Die Sicherung der Brauchtums- und Volkskunstüberlieferung hat meiner Meinung nach, weil am Verschwinden, oberste Priorität. Die sollte sich in Feldforschungsarbeiten, Magisterarbeiten etc. ausdrücken, leider übersteigt dieser Aufwand die Möglichkeit sämtlicher Verbände, die ich kenne. Kindern und Jugendlichen über Schule, Kindergarten unsere Volkskultur ohne Vorurteile nahezubringen, halte ich für einen naheliegenden Schwerpunkt, ist aber landespolitisch anscheinend zu unpopulär oder nicht naheliegend, obwohl in einem vereinten Europa gerade die landestypischen Gegebenheiten immer mehr an Gewicht zu gewinnen scheinen.
 
HP: 5. Was bedeutet Ihnen persönlich Heimat?
 
Ich denke, Heimat ist das, was einem fehlt, wenn man es nicht mehr hat. Es kann Essen, Nahrung, soziales Umfeld, Kleidung, Natur, Gegend, Freunde oder alles mögliche sein. Für mich ist das alles ein bisschen von allem. Persönlich kann ich das "Obere Gäu", meine Familie und mein selber saniertes Fachwerkhaus aus der Barockzeit dazu zählen.
 
HP: 6. Hat der Inhalt des Wortes "Heimat" in unserem heutigen Medienzeitalter noch eine Zukunft?
 
Leider ist der Begriff "Heimat" in unserem Medienzeitalter so abgelutscht und verfälscht/mißverstanden, auch im Zusammenhang mit der Nazi-Zeit, dass die Zukunftsaussichten nicht eben rosig sind. Distanzieren möchte ich mich trotzdem davon nicht, eben aus den in der vorhergehenden beantwortenden Frage nicht. Das werden auch die, die sich im Moment vom Begriff "Heimat" entfernen, in 10 oder 20 Jahren merken.
 
HP: 7. Ist "Heimat und Brauchtum" genügend in den Medien präsent?
 
Die Präsenz und Qualität, die ich mir vom neuen 3. Landesfernsehen erhofft habe, ist nicht einmal annähernd eingetroffen, im Hörfunk ist das nicht anders. Die Êbertragung von einigen Fasnetsumzügen oder gelegentlichen gehetzten (aus Êbertragungs-Zeitmangel) "Wie's der Brauch ist" - Ausstrahlungen kann ich leider noch nicht als große Medienpräsenz erkennen. Carolin Reiber oder Karl Moik erscheint mir eher abschreckend, Günter Wewel nur im Ansatz sehenswert, aber in die richtige Richtung tendierend
 
HP: 8. Es wird derzeit immer mehr über die mangelnde Bereitschaft, sich an Vereine zu binden, berichtet. Können Sie sich andere Formen, Brauchtum zu pflegen, vorstellen und wenn ja, welche?
 
Seit über hundert Jahren ist der Verein die wichtigste und effektivste Institution, sich auch im Brauchtum zu organisieren. Ich kann mir auch durchaus andere vorstellen, auf dem Land etablierten sich durchaus auch die "Jahrgänger" oder andere Zusammenschlüsse ohne feste Strukturen. Auch die Arbeitsgemeinschaft öffnet sich immer mehr Gästen und man muß nicht mehr unbedingt Mitglied in einem Verein sein, um sich auch in Brauchtumsangelegenheiten richtig engagieren zu können. Dies erleichtert vielen Interessierten die Möglichkeit, auch dabei sein zu können, ohne Verpflichtungen eingehen zu müssen, was vielen Menschen heutzutage unangenehm ist. HP: 9. Ein großer Teil der heutigen Jugend steht der Heimatpflege ablehnend und kritisch gegenüber. Welche Wege müssen gegangen werden, um unseren Nachwuchs zu sichern?
 
Die Einbindung der Jugend in Vorstand- und Leitungspositionen ist unbedingt Voraussetzung, damit haben wir in der AG überhaupt kein Problem. Nachwuchssicherung über Vorurteilsabbau und Förderung in Kindergarten und Schule ist Sache des Landes und liegt im Argen. Unser Nachwuchs findet zum Großteil durch persönliche Werbung und unsere integrative Ausstrahlung zu unserem Verband. Zudem sind wir auch für die Jugend stets unter http: // ag. volkstanz. com im Internet erreichbar.
 
HP: 10. Die Begriffe Vermarktung, Kommerzialisierung und Sponsoring gewinnen auch in der Vereinsarbeit immer größere Bedeutung. Wie stellt sich dies in unserem Bereich dar?
 
In unserem Vereinsorgan "Unser Rundbrief" wird seit einigen Jahren auch Werbung integriert. Dies leistet jedoch nur einen kleinen Beitrag zur Finanzierung und Veröffentlichung desselben. Einerseits genießen wir unsere Unabhängigkeit von Werbung/Sponsoring etc. und möchten diese auch bei unseren Entscheidungen nicht vermissen. Wozu eine Kommerzialisierung und Vermarktung des Brauchtum- und Volkskunstbereiches führt, ist in anderen Bereichen ersichtlich und nicht immer unbedingt wünschenswert. Andererseits möchten wir schon aus unserer vereinsgeschichtlichen Situation jedermann, auch sozial Schwachen, die Teilnahme an unseren Aktivitäten und Seminaren finanzgünstig ermöglichen. Daher werden wir vom Land Baden-Württemberg als gemeinnütziger Verband gefördert und geben diese Vergünstigungen auch an unsere Mitglieder weiter. Bei Kommerz und Vermarktung sehen wir durchaus Grenzen und unsere Ansichten sind da eher fundamentalistisch geprägt.
 
HP: 11. Was würden Sie, wenn Sie die Möglichkeit hätten, sofort verändern?
 
Ein gemeinsames Sprachrohr aller Volkskulturschaffenden in Baden-Württemberg wäre wünschenswert, jedoch im Moment noch Utopie. Dazu wäre ein landesumspannendes Netz nach bayrischem oder österreichischem Vorbild dringend nötig. Leider ist in unserer Landespolitik die Notwendigkeit nach Feldforschung und Sicherung der jetzt noch vorhandenen Überlieferungen noch nicht erkennbar, aber unserer Meinung nach wünschenswert. Die Anstellung von Volkskundlern und in der Brauchtumspraxisarbeit erprobten Autodidakten ist unerläßlich und von der Zeit her geboten. Was bis dahin verloren ist, wird nicht mehr gesichert dokumentiert werden. Außerdem würde ich mir für die Volkstanzarbeit wie auch bei Tracht/Regionale Kleidung und Volksmusik eine oder besser mehrere hauptamtliche Stellen für unseren ehrenamtlich arbeitenden Verband wünschen, dies würde auch der Allgemeinheit zu Gute kommen. Hierzu könnte ich mir gut Landes- oder Toto-Lotto-Mittel vorstellen.
 

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