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Aus: Suttgarter Zeitung vom 17.03.99

Internet und Volkstanz unter einem Dach
Das Archiv für schwäbische Kultur in Balingen


Moderne Datenverarbeitung und schwäbische Volkstänze - im Haus der Volkskunst in Balingen sind das keine Widersprüche. Außer dem Wandern und dem Naturschutz hat sich der Schwäbische Albverein der Pflege der traditionellen Kultur verschrieben.
Oben in ihrer kleinen holzvertäfelten Kammer sitzt Petra Hauschke am Computer und bearbeitet einen Artikel aus den Albvereinsblättern von 1899. Interessierte Laien und Wissenschaftler sollen sie später einmal im Internet aufrufen können. Die EDV-Spezialistin ist über ihr Hobby, den Volkstanz, zum Schwäbischen Albverein gekommen.
Zusammen mit der ABM-Kraft Gisela Eppler verfolgt sie in ihrer Freizeit ein ehrgeiziges Projekt: seit sechs Jahren werden im Haus der Volkskunst im Balinger Stadtteil Dürrwangen Seite um Seite der seit 1892 erscheinenden Albvereinsblätter gescannt und wie in einer modernen Bibliothek mit einem praktischen Index versehen. "Wir fragen uns dabei immer, wie der Nutzer denkt", erklärt Petra Hauschke.
100 000 Mark sind für dieses Mammutprojekt nötig, sie wurden über Spenden finanziert. Die Gruppe um den Vereinsfunktionär Manfred Stingel ist jetzt schon bis ans Ende der vierziger Jahre gelangt. Es ist geplant, anschließend auch die Blätter des Schwäbischen Heimatbundes hinzuzufügen. Parallel dazu wird ein Volksliederarchiv eingerichtet. Notenblatt, Text und Melodie werden elektronisch gespeichert und können so bequem an die Tanz- und Chorgruppen des Albvereins abgegeben werden.
10 000 der 120 000 in 570 Ortsgruppen organisierten Albvereinsmitglieder, schätzt Stingel, machen bei dieser Art der Freizeitgestaltung mit. Das Team der Folkloreforscher holt sich historische Aufnahmen aus dem Archiv des ehemaligen Süddeutschen Rundfunks, brennt sich eigene CDs, die es dann wiederum in sein elektronisches Archiv einspielt. Höchste Zeit, daß das passiert, meint Stingel. "Die Schwaben pflegen ihre Kultur nicht", klagt der 55jährige Vorsitzende des Volkstanzrates, der wie fast alle im Dürrwanger Haus ehrenamtlich tätig ist. Und ein drittes Projekt steht an: die Erfassung aller württembergischen Trachten mit farbigen historischen Abbildungen und detaillierten Beschreibungen.
"Wir gehen so schnell wie möglich ins Internet", sagen Hauschke und Stingel. Hier in Dürrwangen soll die zentrale Umschlagstele für schwäbische Kultur werden. Doch schon heute ist das ehemalige Rathaus ganz praktisch mit der Kulturarbeit befaßt. Denn während Petra Hauschke zwischen Stapeln von Fotokopien am Bildschirm sitzt, werden nebenan in der geräumigen Gaststube die Betten an die Seminarteilnehmer verteilt.
 
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Gut 50 junge Leute sind an diesem Wochenende gekommen, um sich in drei Seminaren mit hochkarätigen Lehrmeistern weiterzubilden - die Themen hören sich freilich exotisch an: Fahnenschwingen, Schwegelpfeifen und Trommeln stehen auf dem Programm. "Jedes Wochenende ist hier was los", erklärt Stingel. "Unser Haus ist ausgebucht."
Die Kurseinnahmen helfen mit, das Haus zu unterhalten. Es wurde von 1980 bis 1986 in Eigenarbeit renoviert. Wo früher der Farrenstall stand, schwingen jetzt die Tanzgruppen die Beine. Es gibt zwar einen Zivildienstleistenden als Hausmeister und einen Koch auf 630-Mark-Basis. Doch bewirtet werden die Gäste reihum von ganz normalen Albvereinsmitgliedern.
An diesem Tag schenkt Brigitte Kappe mit ihrem Mann Kaffee aus und verteilt Apfelkuchen. "Das internationale Programm gefällt mir sehr hier", sagt sie und verweist auf die vielen Souvenirs und Plakate aus aller Welt, die dem großen rustikalen Raum alles Verhockte und Heimattümelnde nehmen. "80 ausländische Gruppen haben uns hier schon besucht", sagt Stingel stolz. Die Schlafstuben, knarrende und mit Holz verkleidete niedrige Zimmer unterm Dach, tragen Namensschilder. Sie heißen Kansas City, Kobe, Warschau oder Krim. Ein Trupp von Teenagern verläßt das Haus in Richtung Turnhalle, wo sie das Fahnenschwingen üben wollen.
Beate Sutor aus Böblingen hat sich angemeldet, um einmal die altertümliche hölzerne Querflöte, die Schwegelpfeife, auszuprobieren. Vielleicht wäre das ja ein Instrument für sie. Heino Pingel ist sogar aus Erlangen ins Württembergische gefahren. Er macht beim Trommelworkshop mit, den der studierte Schlagzeuger Walter Stegmaier gibt. Übrigens wird auf Vesperbrettchen geübt, "sonst wären wir alle nach einer Stunde taub". Weder Sutor noch Pingel ist Vereinsmitglied. Das müsse man auch nicht sein, sagt Stingel.
Unten im Tanzsaal macht Matthias Fischer mit seiner bunt gemischten Flötengruppe erst einmal Atemübungen. Ein paar zarte Mädchen sind dabei und auch eine Mutter mit ihrem Säugling. Von wegen "Rentnerklub Albverein". Im Haus der schwäbischen Volkskultur gibt es übrigens auch eine ganz normale Disko. "Aber die benutzen nur die ganz Jungen, und die auch nur kurz", sagt Stingel. "Denn Livemusik und Selbertanzen ist auf Dauer halt interessanter."
 
Das Programmheft mit den Kursen und Veranstaltungen ist zu beziehen über :
Haus der Volkskunst,
Ebinger Str. 56,
72336 Balingen
Tel. 0 74 33/ 43 53
Fax 38 12 09.
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