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Interview mit Manfred Stingel

 

 
Wir befragten führende Köpfe der Brauch- und Heimatszene Baden-Württembergs zur aktuellen Situation der Heimatpflege im Land. In unregelmäßiger Folge möchten wir die Antworten hier vorstellen.
 
Manfred StingelHeute:
Manfred Stingel
Fachwart für Volkstanz im Schwäbischen Albverein und Leiter des Schwäbischen Kulturarchivs
 
Zur Person:
Geboren 1944 in Balingen-Dürrwangen. Versicherungskaufmann.
 
32 Jahre intensive kulturelle Jugendarbeit. Leiter des Hauses der Volkskunst, des Schwäbischen Kulturarchives und der Volkstanzgruppe Frommern. Vorsitzender des Volkstanzrates des Schwäbischen Albvereins.
Initiator und Organisator zahlreicher Volkstanzfestivals in Balingen und einer fantastischen Dudelsackausstellung mit Herausgabe eines Buches über die Sackpfeifen in Schwaben und dem dazugehörigen Dudelsackfestival 1997.
 
HP: 1. Aus welcher persönlichen Motivation heraus engagieren Sie sich?
Internationale Begegnungen auf der Grundlage der traditionellen Volkskultur sind etwas sehr Schönes und wenn es gut gemacht wird, auch Völkerverbindendes.
Mein Vater ist 1944, 2 Monate vor meiner Geburt, in Rußland "vermißt" worden. Es war viel Traurigkeit in meiner Kindheit. Deshalb will ich an der Völkerverständigung mitarbeiten. Außerdem bin ich Schwabe.
 
HP: 2. Wie beurteilen Sie die derzeitige Situation der Brauchtums- und Heimatpflege in Baden-Württemberg?
Schwierig.
 
HP: 3. Welche Chancen sehen Sie in der Zukunft?
Das größer werdende Europa, mit seinen zum Teil sehr selbstbewußten Regionen, wird auch auf uns Auswirkungen haben. Irgendwann werden auch die Schwaben ihre Kultur wiederentdecken. Man wird es dann als Mangel empfinden, daß man den Dialekt nicht mehr sprechen kann. Die eigenen Tänze und Lieder wird man wiederentdecken usw.
 
HP: 4. Welche Schwerpunkte sollen für die Zukunft gesetzt werden?
Ich hatte das Glück, 40 Gastspielreisen und internationale Jugendbegegnungen der Volkstanzgruppe Frommern in 25 Ländern leiten zu dürfen. Dabei ist mir aufgefallen, daß wir ein absolutes Entwicklungsland in Sachen musische Bildung von Kindern und Jugendlichen sind. Tanzen, Singen und Musizieren von traditionellen Tänzen, Liedern und Musikstücken müssen wieder in den Kindergärten, Schulen und in der Jugendarbeit angewendet werden.
 
HP: 5. Was bedeutet Ihnen persönlich Heimat?
Heimat, mit diesem Begriff verbindet sich zuallererst mein Elternhaus, in dem ich geboren bin, in dem ich heute noch lebe und in dem unsere Kinder aufgewachsen sind. Die Rückseite des Hauses führt direkt ins freie Feld. Felder, die zum Teil ich selber, mein Vater, mein Großvater und Urgroßvater bestellt haben. Im Hintergrund die Berge Hörnle, Lochen, Schafberg und der vom Zementwerk ausgehöhlte Plettenberg. Die tiefe Verbundenheit: do ker`e na ...
Mit "ausgehöhltem Plettenberg" ist dann schon ein Stichwort gefallen, die Zerstörung bzw. die Veränderung des Lebensraumes Heimat, die atemberaubend schnell vor sich geht. Deshalb bedeutet Heimat auch Konflikte und das Gefühl nicht verstanden zu werden. Heimat ist es, wenn Lieder gesungen werden, die ich mitsingen kann und wenn traditionell getanzt wird, also Gemeinschaft gelebt wird. Dieses wichtige Gemeinschaftsgefühl habe ich früh durch den Schwäbischen Albverein erfahren. Durch Wanderungen bei denen man Landschaft anders erlebt, durch Beschäftigung mit Dingen, die unseren Vorfahren wichtig waren, ist in mir die Erkenntnis gewachsen, daß wir verpflichtet sind, den Nachwachsenden die Werte der Vorfahren, ihre Sitten und Bräuche zu übermitteln. Aus dieser Erkenntnis ist die Beschäftigung mit der Volkskunst und Traditionskultur mir Heimat geworden. Daraus ergeben sich leider schon wieder Konflikte durch Abgrenzung zu denen, die aus Geschäftsinteressen in Funk und Fernsehen ein verlogenes Heimatbild vermitteln.
 
HP: 6. Hat der Inhalt des Wortes "Heimat" in unserem heutigen Medienzeitalter noch eine Zukunft?
Warum nicht! Allerdings nicht Playback.
 
HP: 7. Ist "Heimat und Brauchtum" genügend in den Medien präsent?
Fasnetsumzüge gab es sicher schon viele zu sehen. Die Medien müssen mithelfen, daß junge Menschen Heimat und Heimatkultur entdecken. Warum nicht mal Sendungen über internationale Begegnungen? Liebesgeschichten spielen sich nicht nur im Försterhaus, auf der Trauminsel und in der Klinik ab. Chöre, Musikvereine, Volkstanzgruppen könnten ja auch mal entsprechend dargestellt werden. Die sozialen Bindungen und Spannungen usw. innerhalb von Vereinen ergeben die reichhaltigsten Themen und Geschichten, wobei Gewalt nicht immer im Mittelpunkt stehen darf.
 
HP: 8. Es wird derzeit immer mehr über die mangelnde Bereitschaft, sich an Vereine zu binden, berichtet. Können Sie sich andere Formen, Brauchtum zu pflegen, vorstellen und wenn ja, welche?
Wir haben in Frommern diesbezüglich überhaupt keine Probleme. Gerne geben wir Einblick in unsere Arbeit, falls jemand das wünscht.
 
HP: 9. Ein großer Teil der heutigen Jugend steht der Heimatpflege ablehnend und kritisch gegenüber. Welche Wege müssen gegangen werden, um unseren Nachwuchs zu sichern?
Der Schlüssel liegt bei den Medien. Siehe Frage 7. Im Übrigen verstehe ich sehr gut, daß Moik und viele seiner volksdümmlichen Mitstreiter (Mundart und Musik etc.) von einem großen Teil der aufgeweckteren Jugendlichen abgelehnt werden. Wir grenzen uns da auch ab. Trotzdem ist es sehr schade, daß wir oft in dieselbe Schublade gesteckt werden.
 
HP: 10. Die Begriffe Vermarktung, Kommerzialisierung und Sponsoring gewinnen auch in der Vereinsarbeit immer größere Bedeutung. Wie stellt sich dies in unserem Bereich dar?
Geld braucht man. Das Land bzw. die Kulturpolitik behandelt unsere Arbeit sehr stiefmütterlich. Wir sind deshalb gezwungen, Sponsoren zu suchen. Das klappt auch oft.
 
HP: 11. Was würden Sie, wenn Sie die Möglichkeit hätten, sofort verändern?
Staatsgelder, die durch Verwaltungen, sozialpädagogische Zirkel und Bürokratien aufgezehrt werden, direkt in musisch-kulturelle Jugendarbeit stecken.
 
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