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Wulf Wager

Hammeltänze in Baden und Württemberg
Anmerkungen zu einem weitverbreiteten Tanzbrauch


Die traditionellen Tanzanlässe der bäuerlichen Welt des alemannischen Sprachgebietes waren einst sehr dünn gesät. So gab es außerhalb der durch das Kirchenjahr zwingend vorgegebenen Tanzpausen in der Fasten- und Adventszeit auch noch persönliche, familiäre Tanzpausen beispielsweise durch den Tod eines Familienmitgliedes. Beinahe an einer Hand sind deshalb die verbleibenden Tanzmöglichkeiten aufzuzählen: Lichtmeß bis Fastnacht, Pfingsten, Johannis, Jakobi, Sichelhenke und Kilwi (in Württemberg "Kirbe", in fränkischen und im Odenwald "Kerwe"), sowie Hochzeiten.
Eine besondere Art der Volksbelustigung waren die Preistänze, welche meist bei den späteren Tanzterminen im Spätsommer und Herbst ausgeführt wurden. Kennzeichnendes Merkmal dabei ist immer der Gewinn eines Preises durch eines der am Tanz teilnehmenden Paare. Dieser Preis, der immer ein Naturalpreis war oder ist, konnte entweder durch Geschicklichkeit oder durch Zufall gewonnen werden. Er war vom ausrichtenden Wirt gestiftet oder von den am Tanz Beteiligten, etwa einem Jahrgang, gemeinsam gekauft worden.
Zu den Geschicklichkeitstänzen gehören die zahlreichen Hahnentänze, bei denen der Tänzer die Tänzerin und/oder umgekehrt während des Tanzes unter einem, an einem Galgen befestigten Tablett in die Höhe stemmen mußte, um mit dem Kopf das auf dem Tablett stehende Wasserglas umzuschütten, ohne selbst naß zu werden. Das Siegerpaar erhielt als Preis den Hahn, der sich meist in einem Käfig auf dem Galgen befand. Als Beispiel sind hier die noch heute aktiven Hahnentänze in Markgröningen und Urach sowie in Bad Teinach-Zavelstein im Nordschwarzwald zu nennen.
Die zweite Gruppe bilden die Tänze mit Zufallsgewinn. Dazu zählt der im letzten Jahrhundert, ja bis zum zweiten Weltkrieg hin, weit verbreitete Hammeltanz. Dieser Preistanz läßt sich im ganzen deutschen Südwesten, besonders geballt aber von Franken und Hohenlohe über den Odenwald, hinunter in den Schwarzwald, hinüber auf die Baar und von dort über die Blaubeurer und Ulmer Alb wieder hinauf in das Fränkische und Hohenlohische nachweisen. Zahlreiche Reisebeschreibungen, Oberamtsbeschreibungen und zeitgenössische Bilder geben den Hammeltanz wieder.
Noch heute wird der Hammeltanz alljährlich an der Kirbe (3. Sonntag im Oktober) in Hirrlingen, das südlich von Rottenburg liegt, ausgeführt. Da der Tanzablauf in meisten Regionen -auch im Schwarzwald- ähnlich war, sei er an diesem Beispiel erläutert.
Die Träger des von der örtlichen Trachtengruppe und Narrenzunft seit 1964 organisierten, aber schon 1840 schriftlich nachgewiesenen Tanzbrauches ist der Jahrgang der 20jährigen. Also derer, die in früheren Zeiten zur Musterung anstanden. Daß gerade diese Altersgruppe als Brauchträger fungiert ist durchaus nichts ungewöhnliches. In anderen Gegenden z.B. in Schömberg bei Rottweil oder gar in Elzach spielt diese Altersgruppe an der Fasnacht einer besondere Rolle. In Kiebingen bei Rottenburg richten sie alle zwei Jahre das Eierlesen am Ostersonntag aus.
Doch nun zum Ablauf des Hammeltanzes in Hirrlingen:
Die Paare gehen in einem großen Kreis, der im Abstand von etlichen Metern mit Sägemehl gezeichnete Querstriche aufweist . Der erste Tänzer trägt einen Säbel in der Hand, den er so lange behalten darf, bis er die nächste Markierung auf dem Tanzplatz erreicht hat. Dort steckt er den Säbel in den Boden. Er wird nun vom nachfolgenden Paar beim Erreichen der Marke aufgenommen und bis zur nächsten Markierung getragen. Dieses wiederholt sich nun solange, bis die vor Tanzbeginn gestellte Uhr zu läuten beginnt. Das Paar, welches zu diesem Zeitpunkt den Säbel in der Hand trägt, gewinnt den festlich herausgeputzten Hammel. Das Siegerpaar muß nun den Abend lang seine Jahrgangskameraden freihalten.
 
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Eine andere Gewinnerermittlung konnte durch das zünden einer Lunte, welche an einer Flinte endete und bei Abbrennen einen Schuß abgab, erfolgen.
 
Anton Birlinger berichtet 1862 von einer anderen Variante des Hammeltanzes im württembergischen Schwarzwald: "In Altheim bei Horb findet jährlich etwa acht Tage nach der Kirchweih der Hammeltanz statt, volksmundartlich "Ha`reda`z" auch genannt. In der Nähe eines Wirtshauses wird auf einem freien Platz ein bestimmter Raum abgesteckt, mitten in selbigem ein "Stotzen" eingetrieben, an dem eine Uhr hängt. Ringsum wird ein Bretterverschlag gezogen, damit niemand in den Kreis dringe und die Wettlaufenden sicherer laufen. Bei der Uhr steht der Dorfschütz mit bloßem Schwerte. Die Bursche mit ihren Mädchen an der Hand laufen im Kreis, Paar hinter Paar. Das Paar, das bei der Uhr ankommt, wenn diese schlägt, bekommt den Säbel und hat den Hammel. Dieser Hammel wurde mit zusammengelegtem Gelde gekauft und festlich geschmückt mit Bändern in der Nachbarschaft aufgestellt. Nachher wird tüchtig gefeiert und getanzt; alles auf das glückliche Paar hin, so daß der Hammel oft noch so theuer wird".
Vergleichen wir diese Beschreibung mit der des Hirrlinger Hammeltanzes, finden wir eine über nahezu 140 Jahre unveränderte Tanzausführung.
 
Elard Hugo Meyer veröffentlichte 1900 sein aus Konferenzaufsätzen und Umfragen unter Lehrern resultierenden Band "Badisches Volksleben im neunzehnten Jahrhundert". Dort weist er Hammeltänze in Stein bei Bretten sowie in Berolzheim und Messelhausen bei Tauberbischofsheim nach. Auch in Pfohren bei Donaueschingen wurde der Hammeltanz ausgeführt. "Noch in anderen Orten des Nordens wie des Südens hat er sich, wenn auch nicht immer an der Kirchweih, beim Erntefest erhalten, z.B. in Angelthürn (Boxberg), in Hornberg a.d. Kinzig, im Wild-, Glotter und Elzthal (Freib.)."
 
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Der Hornberger Hammeltanz
 
Der älteste bildliche Nachweis von 1820 stammt aus Aloys Schreibers Werk "Trachten, Volksfeste und Charakteristische Beschäftigungen im Grosherzogthum Baden" Dieses Bild stellt den Hammeltanz in Hornberg dar. "Der Hammeltanz war sehr beliebt und kommt heute noch in Hornberg und Umgebung vor. Er spielt sich im Freien vor der Gaststätte ab. An einem etwa drei Meter hohen Stab, der in der Mitte des Tanzplatzes aufgerichtet ist, flattert ein schönes, buntes Tuch. So kennzeichnet der Wirt den Ort Hammeltanzes, und dadurch sollen die Tänzer angelockt werden. Nach Ländler-Musik tanzen junge Burschen und Mädchen im Sonntagsstaat im Kreise um diesen Stab herum. Inmitten der Tanzenden steht ein stattlicher, mit farbigen Bändern und Blumen prächtig gezierter Hammel, der oft von einem begüterten Bauern eigens dazu gestiftet wird. Es gilt nun, für einen geringen Tanzgroschen den feisten Hammel zu gewinnen, was nie verfehlt, seine Anziehungskraft auszuüben. Neuerdings sind Hämmel leider rar geworden, so daß der Jugend nur selten dieses kribbelnde Vergnügen zuteil wird.
Unermüdlich bläst die Musik die beliebten Klarinettenjodler. Währenddessen bewegt sich die lange Kette der tanzenden Paare langsam um den Hammel herum. Jeder hat den heißen Wunsch im Herzen, das Glück möge hold sein und ihm den Hammel bescheren. Ein Fähnchen wandert dabei alle zehn Meter von einem Paar zum andern. Schon mehrmals hat es alle Paare durchlaufen, und die Spannung steigt allmählich auf den Höhepunkt.
Neuerdings ist es ein Wecker, der durch Herunterrasseln das ersehnte Zeichen gibt. Das Paar, welches in diesem Augenblick das Fähnchen in der Hand hält, hat den Hammel gewonnen. Voller Stolz nimmt das überglückliche Paar das Glückstier im Empfang.
Doch ganz "ungeschoren" kommt es nicht davon. Zunächst muß es der Musik etliche Doppelliter stiften und die Zeche für die beiden Paare vor und hinter ihm bezahlen. Dann muß auch für den Durst der anwesenden Freunde noch etwas abfallen.
Bei einem solchen Tanzfest ist meist ein pfiffiger Metzger dabei oder rasch zur Stelle, der aus Erfahrung weiß, daß es hier billig ein Schlachttier zu erwerben gibt. In der Freude des Gewinns wird es zumeist allzu billig verkauft. Dieses Geschäft steigert wiederum den spendefreudigsten Durst. Am Schluß ist alles zerronnen, so wie es gewonnen wurde. Die Ehre des Gewinns aber bleibt eine selige Erinnerung für alle Zeiten."
 
Aloys Schreiber selbst schildert den Hornberger Hammeltanz 1820 so: "Der Hornberger Hammeltanz unterscheidet sich wenig von andern ähnlichen Tänzen. Ein Tuch an einem Stabe, der Preis der Tänzerin, bezeichnet den Schauplatz. Ein stattlicher Hammel, mit Bändern und Kränzen geziert, wird von Knaben herbeygefüührt. Im Sonntagsputz sammeln sich die jungen Bursche und Mädchen, und der Tanz beginnt, im Freyen, nach der ländlichen Musik. Ein Pärchen walzt im Kreis herum, dann ein zweytes, dann ein drittes, bis die Reihe durch ist, und nun beginnt sie wieder von vorn. In einem doppelten Reiff, der an einer brennenden Lunte befestigt ist, hängt ein mit Wein gefülltes Glas, und dem Tänzer, welcher eben an der Reihe ist, da das Glas fällt, wird der Hammel als Preis zu Theil. Der Sieger muß dann die übrige Gesellschaft in der Schenke bewirthen, weswegen es immer so eingerichtet wird, daß das Los des Tags auf einen Reichen falle."
 
Geld mußten die Tanzenden meisten aufbringen um die Kosten dieser Hammel-Lotterie zu bezahlen. Ein Tanzverschen aus Gerabronn in dem sich die reicheren Tanzenden um die ärmeren Nicht-Tanzenden lustig machen lautet:
 
Jetzt tanzen wir unsere Betze (Schaf) aus
Mit seiner weißen Wolle
Es täten schon noch mehre mit
es handelt sich nur ums Zohle.
 
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Der Hammeltanz bei Kollnau (Freiburg) fand wie folgt statt: "Bei Kollnau wird auf dem Rasenplatz der Hammeltanz um eine Stange, an der eine Laterne mit einem Kerzchen hängt, aufgeführt. Das Paar, das beim Erlöschen des Lichts der Stange zunächst tanzt, erhält einen bekränzten Hammel, der Tänzer aber muß dem Hirtenbuben ein Trinkgeld verabreichen und den Mittänzern ein Fäßchen Bier oder einige Flaschen Wein zahlen."
Meyer berichtet weiter: "Der Haupttanz hat die Eigentümlichkeit, daß durch ihn etwas ausgetanzt, am häufigsten ein Hammel, das alte Schlachttier der Kirchweih, nach berichteter Weise. Dieser Brauch reicht vom Elsaß bis nach Thüringen hinüber und ist im badischen Norden üblicher als im Süden. Doch fehlt er auch der Baar nicht. In Weisweil (Emmendingen) bekommt der gewinnende Tänzer das Fell, sein Mädchen einen Kranz. In mehreren elsässischen Örtern und in Meßkirch wird der Tanz durch ein Preiskegeln um einen Hammel ersetzt." Davon berichtet auch Josef Bader 1843 .
 
Während Hahnentänze bereits im Mittelalter zahlreich nachzuweisen sind, tauchen erste Mitteilungen über Hammeltänze erst um 1820 auf. Das mag sicherlich daran liegen, daß ein Hahn einen geringeren Wert hatte als eben ein Hammel. Einen älteren allerdings nicht ganz hieb- und stichfesten Beleg weißt den Hammeltanz in Oberlinden (Freiburg) am Ende des 18. Jahrhunderts nach: "Ein Paar nach dem anderen tanzte um die Linde, an der ein brennendes Licht hing. Dasjenige Paar, das beim Herabfallen des abgebrannten Lichtes gerade tanzte, erhielt einen mit roten Bändern und Kränzen geschmückten Hammel."
 
Es wird noch um den Hammel getanzt
 
Die meisten der vorbeschriebenen Hahnentänze sind nach dem ersten oder spätestens nach dem 2. Weltkrieg abgegangen. Aber doch sind noch einige Hammeltänze aktiv. In Onolzheim bei Crailsheim wird alljährlich am 3. Oktobersonntag der Hammeltanz ausgerichtet. Aus Asselfingen bei Ulm ist das Tanzlied zum Hammeltanz üüberliefert . Auch in Rosenfeld-Bickelsberg in der Nähe von Oberndorf fand alljährlich beim Turnfest im September bis im Jahre 1979 ein Hammelauf statt. Dabei bezahlte jeder der Teilnehmer 2 - 5,-- DM. Die Kapelle spielte einen Marsch und die Paare gingen auf der Kreisbahn, auf der ein Balken lag. Unter einem Eimer war ein Wecker versteckt. Gewinner war das Paar, das gerade über den Balken ging, als der Wecker rasselte.
Auch in St. Peter wird heute noch der Hammeltanz veranstaltet. Ursprünglich scheint er mit der Kandel-Kilbi, einem feuchtfröhlichen Volksfest verbunden gewesen zu sein. "Aus finanziellen Gründen sah sich der Musikvereinsvorsitzende Karl Adolf Blattmann 1938 veranlaßt, auf dem Kandel und im "Engel" im Sägendobel Hammeltänze abzuhalten. Seither sind Hammeltänze eine beliebte Veranstaltung zur Auffrischung der Vereinskasse geblieben. Der Gewinner des Hammels wurde um 1900 durch "Rauslaufen" der Tanzpaare in einem mit einem Seil abgetrennten Ring ermittelt. Zeitweise ließ man eine auf einer buntgeschmückten Säule aufgestellte Kerze, durch die au halber Höhe eine Schnur gezogen war, abbrennen und wenn die Schnur durchgeglimmt war, fiel die daran hängende Flasche zu Boden. Danach spielte ein gestellter, mit einem Tuch verdeckter Wecker Glücksgöttin und seit Jahren werden über Loslisten rund tausend Losnummern verkauft, die in eine Tombola geschüttet werden. Bei diesen hohen Loszahl werden auch weitere Preise vergeben. Wer den Hammel gewinnt, hat traditionsgemäß den Mädchen, die den Hammel "geziert" haben (Samtsattel auf dem Rücken, Blumen auf dem Rücken und an den Hörnern), eine Vergütung und den Musikanten eine "Runde" zu zahlen".
Albert Reinhardt berichtet vom Hammeltanz zur Kirchweih in Mühlenbach: "Am Sonntagnachmittag ist im Wirtshaus für die Jugend und auch für die Älteren der Kirchweihtanz das große Ereignis des Tages, wobei nach altem Brauch ein Hammel ausgetanzt wird. Dabei ist die Tanzfolge örtlich verschieden. Aus eigenem Erleben weiß der Verfasser, daß in der Mitte des Tanzbodens auf einem Tisch ein Wecker stand, dessen Läutewerk auf eine bestimmte Zeit eingestellt war. Die Tanzenden bewegen sich nun in einer genau geordneten Reihenfolge im Kreise. Das erste Paar erhielt ein Fähnchen, das bei verschiedenen Markierungen an das nächste weitergegeben werden mußte. Das Tanzpaar, das im Besitze des Fähnchens war, wenn der Wecker "herunterging", bekam den Hammel, die Tänzerin erhielt außerdem ein seidenes Halstüchlein. Neuerdings wird in manchen Orten der Hammel nicht mehr ausgetanzt, sondern ausgelost."
 
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Der Hammel bringt Geld
 
Im Hohenlohisch-Fränkischen und auf der Schwäbischen Alb findet man heute noch immer wieder Hammeltänze als Höhepunkt der "Kerwe" oder "Kirbe" wie die abgebildeten Anzeigen belegen . Diese Art der Bekanntmachung des "tierischen Ereignisses" ist allerdings nicht neu. Bereits 1902 warb man im "Triberger Bote" für das "Hammellaufen" . Engstingen ober Reutlingen,
Pfülringen bei Tauberbischofsheim und Harthausen bei Balingen und Schalkstetten bei Geislingen sind weitere Orte, in denen noch heute der Hammeltanz stattfindet.
In Pfülringen beispielsweise richtete der Föderverein Sportanlagen 1996 den Hammeltanz aus. Dieser diente zur Geldbeschaffung für die neuen Sportanlagen.
In Bonndorf im Schwarzwald wird der Hammeltanz von der Gemeinschaft der Geschäftsleute aus Tourismusgründen veranstaltet. Wie die vorgenannten Beispiele und das Zitat aus St. Peter und anderen Orten beweisen, kann man vom Hammeltanz durchaus von einem kommerziellen Brauch sprechen. Den Hammel als "kultisches" Objekt zu sehen, entbehrt jeglicher Realität.
 
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