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Geneigter Leser
das
baden-württembergische Heimatverbandswesen ist nicht schlagkräftig
und lobbyfähig genug, weil es zuviele eigenbrötlerische
Verbände gibt, die inhaltlich und organisatorisch unzureichend
miteinander arbeiten. Edgar Gebauer hat dies an dieser Stelle schon
einmal kräftig bemängelt. Doch es hilft nichts, darüber
zu klagen und keine Anstrengungen zur Lösung dieses Problems
zu unternehmen. Nun, die Heimatzunft hat die Vertreter der Heimatverbände
zu einem informellen Gedankenaustausch unter dem Titel „Forum
Volkskultur“ eingeladen. Dieses Gespräch ist sehr erfolgreich
verlaufen. Näheres dazu auf Seite 26.
Doch wie steht`s dennm mit den Inhalten? Je mehr ich darüber
nachdenke, desto mehr stellt sich mir die Frage: „Wie reimt
sich das zusamm`?“, wie es in einem Lied auf der neuen Biermösl-Blosn
CD heißt?. Wir tanzen Tänze, die in der Zeit zwischen den
beiden Weltkriegen aufgezeichnet wurden, zu Instrumenten, wie zum
Beispiel dem chromatischen Hackbrett, das nach dem 2. Weltkrieg neu
erfunden wurde, in Trachten, die aus der Zeit des Spätbarocks
stammen.
Übertragen in unsere Zeit würde das bedeuten, wir tanzen
Techno in Frack und Zylinder zur Schlagermusik der 70er Jahre. Wie
reimt sich das zusamm`?
„Treu dem guten alten Brauch!“, so lautet der Wahlspruch
der Trachtler. Doch welchen „guten alten Brauch“ pflegen
wir denn? Gut, die meisten Trachten der Trachtenvereine haben eine
gewisse Authentizität. Aber zu welchem Anlaß wurden denn
die Trachten früher getragen, als der Brauch noch „gut
und alt“ war? Zur Aufführung von Webertanz, Mühlradl,
Glockenspiel und Zillertaler Ländler auf der Bühne? Wohl
kaum.
Wie reimt sich das zusamm`?
Traf man sich wirklich in der Festtracht mit der Haube, dem
Kirchenrock, dem Dreispitz zum gemütlichen Musizieren in einer
Stubenmusik? Gab es denn in unserem Raum überhaupt Stubenmusiken?
Oder spielen wir nur so, weil wir es im Alpenländischen schön
finden? Wie reimt sich das zusamm`?
Pflegen wir denn wirklich den „guten alten Brauch“ oder
stellen wir die Vergangenheit nicht nur so dar, wie wir sie gerne
sehen würden? Und zwar egal in welchem Verband? Wie reimt sich
das zusamm`?
Hören wir auf, unseren Zuschauern und Zuhörern etwas vorzugaukeln!
Beschäftigen wir uns ernsthaft mit unserer Vergangenheit und
zeigen wir die musischen Relikte unserer Heimat ehrlich, als „lebendiges
Museum“.
Das ist die eine Seite.
Die andere Seite ist die der Weiterentwicklung unseres musischen regionalen
Kulturgutes. Geben wir doch dem Volkstanz und der Volksmusik eine
neue Chance, als geselliges Kommunikationsinstrument seinen Platz
im Wirtshaus wieder zu finden. Raus aus den Trachten beim geselligen
Tanzen und Musizieren. Eine Tracht hält den nicht-trachttragenden
Menschen ab. Er traut sich garnicht erst mitzumachen. Tracht grenzt
aus!
Machen wir doch das Wissen um die Vergangenheit unserer Kultur
transparent und treten wir als „lebendiges Museum“ bei
Festzügen und Veranstaltungen auf. Natürlich kann man Volkstanz,
Volksmusik und Volkslied auf der Bühne zeigen. Aber dann zeigt
doch bitteschön das, was wirklich war und nicht nur „Showtänze“.
Oder ist Realität womöglich zu fade? Wer nur auf der Bühne
tanzt, singt und spielt und die geselligen Funktionen nicht kennt
und lebt, prostituiert sich an der Vergangenheit.
Herzlichst
Ihr Wulf Wager
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