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Nun ade, es geht zu Ende ...
Der „Facklasonntig“ in Schömberg ist das Fest der
Jahrgänge
von Wulf Wager
Wenn bei der Mitternachtspolonaise am späten Fastnachtsdienstagabend
im kleinen Städtchen am Fuße des Plettenbergs zum letzten
Mal der eindrucksvolle Narrenmarsch erklingt, sollte das Ende der
bunten Fasnet nahe sein. Doch weit gefehlt. Den eigentlichen Schlusspunkt
der Fasnet bildet für die festfreudigen „narreten“
Schömberger das „Facklafiir“ am ersten Fastensonntag,
dem Sonntag Invokavit. Verantwortlich dafür sind die „Zwanzger“,
der Jahrgang der Zwanzigjährigen.
Sofern dies ihr körperlicher Zustand zulässt, gehen manche
Schömberger am Aschermittwoch wieder ihrer geregelten Arbeit
nach. Viele, besonders die Erznarren, haben sich noch vorausschauend
frei genommen. Aber allen ist eines gemeinsam: die Erinnerung an die
gerade ge- und erlebte Fasnet. Immer wieder spielt sich der pausenlos
intonierte, prägnante Narrenmarsch aus dem Unterbewusstsein in
das nachfastnächtliche Gedankenwirrwarr. Jeder Gedanke ein wilder
Affe, der von Baum zu Baum hüpft. Tausende von Affen, ständig
hin- und herhüpfend, vermengt mit Blasmusiktönen und Schellengerassel.
Kopfweh, Gerüche, Müdigkeit, glückselige Erinnerung.
Am Abend des „Äschamittwoch“ trifft man sich im Freundeskreis
oder mit den Jahrgängern zum Schneckenessen in den Lokalen Schömbergs.
Es ist weiß Gott kein trauriger Abend. Man sinniert über
die Fasnet. Anekdoten werden erzählt. Und so manche preisgegebene
Geschichte eignet sich bereits wieder fürs nächste Narrenblättle.
Zwanzger – a Leaba wia a Kenig!
Allein die „Zwanzger“, die 20-Jährigen, feiern am
Aschermittwoch eine Art Nachfasnet. Schon während der Fasnet
haben sie viele Sonderrechte und Privilegien. So eröffnen sie,
als einzige im eleganten Narrenkleid, die Hauptversammlung der Narrenzunft
am 5. Januar. Bei jedem Umzug und jeder Narrenpolonaise dürfen
sie voraus„jucken“ und, und, und ...
Früher waren die Zwanzger der Rekrutenjahrgang. Insofern bildete
das „Zwanzgerleben“ den Übergang zwischen Jugend-
und Erwachsenenleben. In Schömberg hat sich das bis heute gehalten.
Immer noch sehnt sich jeder Jugendliche nach der Zeit, da er endlich
als Zwanzger agieren kann.
Fasnet kostet eine Menge Geld und das bei den Wirten über die
hohen Tage angeschriebene Getränkepensum der Zwanzger will bezahlt
sein. Der Erlös aus dem Verkauf des Narrenblättles reicht
kaum. Deshalb sind die Zwanzger am Äschamittwoch in Frack und
Zylinder unterwegs, um bei den Schömberger Geschäftsleuten
Geld zu sammeln. Als Gegenleistung verteilen sie saure Heringe und
Brot an die edlen Spender und an zufällig daherziehende Passanten
auf der Straße. Ein fröhliches Wort wird gewechselt –
man kennt sich schließlich.
A ls Zeichen dafür, dass quasi alles Geld versoffen ist, tragen
sie ein Holzkreuz dem Zug voraus, an dem leere Geldbeutel befestigt
sind. Die Geschäftsleute bedenken die Zwanzger aber auch mit
nützlichen und unnützen Werbegeschenken wie Luftballons
und Kulis. Aller Schnickschnack wird an diesem Holzkreuz befestigt,
das wenige Tage später, am Sonntag Invocavit den Flammen geopfert
wird. Doch bis dahin haben die Zwanzger und auch andere Jahrgänger
noch eine Menge Arbeit.
Einsatz für den Schatz
Von Donnerstag bis Samstag sind sie im Wald, um das Holz für
das Facklafiir zu machen. Die jungen Männer und Burschen der
Jahrgänge, die um das Facklafiir ziehen werden, laden am Samstag
zuvor die Mädchen ihres Jahrgangs zum Facklasonntig ein. Auch
dies ist für die Jahrgänger wieder ein willkommener Anlass
zur geselligen Kommunikation, verbunden mit der Einnahme eines Getränks
oder auch eines Vespers.
Am Morgen des Facklasonntig treffen sich die Zwanzger auf einer Wiese
unterhalb des Festplatzes, um unter Anleitung eines erfahrenen Narrenrates
das Facklafiir aufzubauen. Eine schweißtreibende Arbeit, bei
der viele Raummeter Holz sorgsam zu einem fast haushohen Scheiterhaufen
gestapelt werden. Schmutzig ist die Aktion ohnehin. Wenn der Boden
nicht mehr gefroren ist, steht man knöcheltief im Matsch. Aber
ein schönes Facklafiir ist der Stolz des Zwanzger-Jahrgangs.
Das Facklafiir wird zelebriert
Wenn die Zeit Richtung Betzeitläuten voranschreitet, sammeln
sich die Jahrgänge ab den Fünfzehnern bei der Kirche. Jeder
Jahrgang hat eine oder mehrere Strohpuppen dabei, die nacheinander
in das Fackelfeuer geworfen werden. Manchmal spielt ein Jahrgang dem
anderen einen Streich und stiehlt die Strohpuppe. Sobald aber eine
Strohpuppe an der Kirche lehnt, ist das Stehlen verboten. So schreibt’s
die Tradition vor. Zum ersten Mal dürfen die Fünfzehner,
die Entlassschüler, von der Kirche zum Facklafiir und um das
Feuer gehen. Ihnen wird von den Zwanzgern beim Bau der Strohhexe geholfen.
Und sie werden auch beschützt, damit ihre Hexen nicht abhanden
kommen.
Hut ab zum Gebet
D ie Bevölkerung pilgert hinaus zum Holzstoß, um am Facklafiir
teilzuhaben. Schlägt die Kirchturmuhr zum Betzeitläuten
um 18 Uhr, setzen die Zwanzger draußen auf der Wiese ihre schwarzen,
mit bunten Wollrosen verzierten Hüte ab und beten den Englischen
Gruß. Kaum ist das Amen verklungen, beschütten die Zwanzger
den Holzstoß mit Benzin oder Petroleum und zünden ihn an.
Sobald der Rauch aufsteigt, macht sich der erste Jahrgang der Entlassschüler
von der Kirche an singend auf den Weg zum Facklafiir. Voll Stolz tragen
sie, wie alle anderen Jahrgänge, kreisrunde Strohhüte, wie
sie zu Beginn des 20. Jahrhunderts Mode waren, verziert mit einer
weißen und einer roten Wollrose. Meist sind die Strohhüte
mit dem Geburtsjahr des Jahrgangs beschriftet. Ein dunkler Mantel
vervollständigt die Kleidung der Feuergänger.
Obligatorisch ist das mit dem Motto des Jahrgangs beschriftete Schild,
das dem Zug der Jahrgänger vorangetragen wird. Zu dem alten Rekrutenlied
„Oh Straßburg, oh Straßburg, du wunderschöne
Stadt, ja darinnen liegt begraben so mancher Herr Soldat“ ziehen
die Jahrgänge nun nacheinander gegen den Uhrzeigersinn um das
Feuer. Voraus die Jungen und dahinter die Mädchen. Allerdings
dürfen die Mädchen und jungen Frauen nur einmal mit um das
Feuer ziehen. Nach dem ersten Lied bleiben die Jugendlichen stehen,
setzen ihre Strohhüte ab und singen das Lied „Nun ade,
es geht zu Ende“. Dann bekommt die Hexe einen Schnaps, also
einen Trunk von Benzin oder Petroleum, und wird ins Feuer geworfen.
Während der letzten Runden um das Feuer singt man ein weiteres
Rekrutenlied: „Ein Wächterlein auf dem Türmlein saß“.
Nach einer Solorunde der Männer schließen sich die Mädchen
ihrem Jahrgang wieder an und weiter geht es durch den Matsch bis das
Lied zu Ende gesungen ist und man gemeinsam den Kreis wieder verlässt.
Auch die Zuschauer singen fleißig mit, weil sich die jungen
Jahrgänge, kaum den Stimmbruch beendet, noch mit dem Singen schwer
tun.
Der riesige Holzstoß steht nun in voller Flammenpracht und spendet
den umstehenden Zuschauern von vorne eine angenehme Wärme. Es
folgen die Jahrgänge der Sechzehner, Siebzehner, Achtzehner und
Neunzehner. Allesamt tragen sie Strohhüte mit weißen und
roten Wollrosen. Die Neunzehner tragen als die künftigen Zwanzger
zum letzten Mal Strohhüte, deshalb werfen sie sie mit ins Feuer.
Auch singen sie als Schlusslied nicht „Ein Wächterlein
auf dem Türmlein saß“, sondern „Jetzt fängt
das schöne Frühjahr an“, in einer nur in Schömberg
gebräuchlichen Melodie. Je älter die Jahrgänge, desto
melodiöser und kraftvoller wird gesungen.
Früher durften nur gestandene, erwachsene Männer einen schwarzen
Hut tragen. Knaben mussten sich mit einem einfachen Strohhut zufrieden
geben. Und da das Zwanzgerleben als Übergang und Eintritt in
die Erwachsenenwelt etwas Besonderes ist, tragen die Zwanzger als
einzige schwarze Filzhüte. Noch in den 1960er Jahren war das
Fackelfeuer eine reine Männerangelegenheit und die Mädchen
durften nicht mit um das Feuer ziehen.
In manchen Jahren folgen den Neunzehnern auch noch runde Jahrgänge.
Dann machen sich die Dreißiger, Vierziger, Fünfziger und
selten auch Sechziger noch einmal auf den Weg um das Facklafiir. Den
Abschluss bilden aber immer die Zwanzger. Ihre schwarzen Filzhüte
sind mit drei Wollrosen in den Farben weiß, grün und rot
verziert. Die Männer der Zwanzger tragen alle Mottotafeln der
vergangenen fünf Jahre und das Kreuz vom Aschermittwoch mit sich.
Natürlich darf auch die Hexe nicht fehlen. Manchmal trägt
sie einer auf der Schulter, andere Hexen werden bahrengleich auf einer
alten Matratze dem Feuer übereignet. Auch alle Insignien wandern
zum Abschiedslied „Nun ade, es geht zu Ende“ in das mächtige
gegen den Himmel lodernde Feuer.
Zum Schluss geht man „ge ei’kehra“
W ährend die Zwanzger die ganze Nacht über das Feuer bewachen
und ein letztes Mal „g’heerig oan nei lassat“, treffen
sich alle Jahrgänge in den verschiedenen Gaststätten Schömbergs
zum Schmaus. Noch einmal prostet man sich kräftig zu. Oft spendiert
ein Jahrgang dem anderen einen Stiefel voll Bier. Und mit diesem Abend
ist auch in dem alten Narrenstädtle Schömberg am Fuße
des Plettenbergs die Fasnet endgültig aus!
Alfons Besenfelder beschreibt in seinen Lebenserinnerungen den Facklasonndig
in den 1920er Jahren: „Die Schömberger Bürger feierten
diesen Sonntag betont gemeinsam. Jung und Alt war versammelt. Vor
allem die Jugend war Träger des Festes. Ausrichter waren die
Zwanziger, so wie sie auch verantwortlich zeichneten für die
Durchführung der Fastnacht. Das größte Kontingent
stellten jedoch die Kinder mit ihren Müttern und die Jugendlichen.
Die Vorbereitungen zu dem Feuer am Fackelsonntag begannen schon frühzeitig.
Das Holz wurde zusammengetragen, die Kinder erhielten Lampions. Für
die Halbwüchsigen wurden Fackeln hergestellt. Schon zu Beginn
des Winters wurden Scheiter von Fichtenholz zu dünnen Leisten
gespalten. Diese wurden dann wochenlang auf dem Kachelofen hinter
dem „Röhrle“ getrocknet, sie mussten ganz dürr
sein. Kurz vor dem Fackelsonntag wurden dann aus den Leisten vom Vater
oder Großvater die Fackeln hergestellt. Zunächst wurde
ein spannendickes Bündel von Stäben mit einem Strohzopf
zusammengebunden und dem Ganzen den ersten Halt gegeben. Die Stäbe
wurden handlich geordnet und oben ebenfalls gebunden. Das war der
erste Stoß. In diesen Stoß kamen weitere Stäbe, die
nach oben nachgesteckt wurden. War ein Bündel dick genug, wurde
es ebenfalls abgebunden. So kam Stoß auf Stoß. Die Fackel
hatte je nach Alter des Trägers zwei bis vier Stöße.
Manche Fackeln wurden auch mit Draht abgebunden. Dies war aber nicht
so günstig. Beim Abbrennen ergaben sich oft Schwierigkeiten mit
dem Ablösen des abgebrannten Stoßes. Die Fackel bekam als
Abschluss nach oben eine Strohkrone. Manche steckten noch eine kleine
Papierfahne in die Krone. In das untere Ende der Fackel trieb man
einen alten Besenstiel. Er war Halt beim Schwingen der brennenden
Fackel.
Als eigentliche Vorbereitung für den Abend des Fackelsonntages
galt das Herbeischaffen von Brennmaterial. Diese Aufgabe oblag dem
Jahrgang der Zwanziger. Es war Privileg und Verpflichtung. Auf dem
Neidlinger, im Winkel der Zimmerner Straße und dem Weg nach
Obgassen stand auf freiem Ödplatz eine junge Linde. Rings um
die Linde war ein größerer freier Platz und dieser Platz,
abgewandt von den Häusern des Städtchens, ungefährlich
für Haus, Strauch und Baum, diente als Fackelplatz. Vor dem Fackelplatz
breitete sich eine weite Ebene aus, der alte Siechengarten, der für
das Fackelschwingen ideale Verhältnisse bot. Auf diesem Platz
wurde der Stapel des Brennholzes errichtet: altes Bauholz, Reisig
aus den Wäldern, alte Holzstempel u.a.
Abends am Sonntag Invokavit nach dem Rosenkranz in der Stadtpfarrkirche,
der jeweils um 18 Uhr stattfand, zog die Jugend, aber auch vor allem
die Kinder mit den Eltern in der hereinbrechenden Dämmerung hinaus
auf den Neidlinger (...) Zunächst stand alles in großem
Kreis um den aufgeschichteten Reisighaufen und wartete bis der „Regisseur“
des Abends vom Rosenkranz auf dem Festplatz erschien.
Es war der „Dörflematthes“ Matthias Faulhaber aus
dem Dörfle. Jedjährlich oblag ihm das Amt, die Feier am
Fackelsonntag zu eröffnen. Er trat in den Kreis, zog seinen Hut,
bekreuzigte sich und erhob seine Stimme zum Gebet: Drei Vater unser,
das Ehre sei dem Vater und das Glaubensbekenntnis wurden gemeinsam
gebetet. Dann zündete der „Dörflematthes“ den
Holzstoß an. Das war Zeichen zum Beginn (...) Der Holzstoß
stand rasch in Flammen, denn er bestand aus dürrem Reisig und
trockenem Holz. In das lodernde Feuer wurden nun die Holzfackeln gehalten.
Die Krone fing sofort zu brennen an und der erste Stoß stob
die Funken. Jetzt zogen die Fackelträger hinaus auf die breite
Fläche, suchten Raum für ihre Fackel und schwangen sie um
sich im Kreise. Das weite Rund war voll von kreisenden Fackeln. Dazwischen
standen Kinder mit dem ruhigen Licht der bunten Laternen. Stoß
um Stoß brannten die Fackeln herunter. Beim letzten Stoß
wurde die Fackel am „Besenstiel“ gehalten und im Kreise
über dem Kopf geschwungen. Wohl eine Stunde dauerte das Feuerwerk.
Der Holzstoß wurde immer wieder mit neuem Holz versehen, so
daß er weithin sichtbar in die dunkle Nacht leuchtete ... Der
Höhepunkt stand noch bevor. Das Feuer sank allmählich in
sich zusammen. Da erschienen die Zwanziger, Jungen und Mädel,
mit Gesang auf dem Festplatz. Sie trugen Strohpuppen, die bekleidet
waren, vor dem Gesicht eine Larve vorgebunden hatten, auf dem Kopf
einen Hut oder ein Kopftuch trugen, in ihren Reihen. Diese beiden
Strohpuppen wurden in das Feuer gestellt und unter Jaulen und witzigen
Bemerkungen verbrannt. Während dieses Vorganges wurden von den
Zwanzigern alte Lieder, die nur bei dieser Gelegenheit angestimmt
wurden, gesungen. Nachdem die Hexen verbrannt waren, der Meiler auch
in sich zusammengesunken war, wurde die Feuerstelle eingeebnet und
gelöscht. Die Jugend zog gemeinsam ab und ging unter Gesang in
ein Wirtshaus. Dieser Tag war der eigentliche Abschluss der Fastnacht
und der Beginn der Fastenzeit.
Auch im Privaten wurde der Fackeltag begangen. Der Fackelsonntag war
der einzige Sonntag des Winters, der auch zum „z’Lichtgehen“
verwendet wurde. An diesem Abend wurde in geselligem Kreis „gefackelt“.
Speise und Trank wurde gereicht.“
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