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Feuer und Flamme für den Frühling
Im Tal von Jagst und Tauber werden an Fastensonntagen Okuli und
Lätare Strohfiguren verbrannt
Frühjahrsbräuche mit Feuer und Flamme an den Fastensonntagen:
Im Tal von Tauber und Jagst wird an Okuli und Lätare mit Strohfiguren
der Winter vertrieben und der Frühling begrüßt. Als
Belohnung bekommen die Kinder seit vielen Generationen Eier und Süßigkeiten,
neuerdings auch Geld.
In Ailringen, einem 491-Seelen-Dorf an der Jagst, gibt es im März
ein streng gehütetes Geheimnis: Bis zum Sonntag Okuli, dem dritten
Fastensonntag, darf niemand wissen, welcher Bursche als „Butz“
ausstaffiert wird. Sieben bis acht Siebt- und Achtklässler treffen
sich, einem konspirativen Zirkel gleich, in den Tagen vor Okuli in
einer Scheune. Dort binden sie, unterstützt von zwei verschwiegenen
Männern, Stroh zu Büscheln und Zöpfen. In diese Hülle
aus Halmen schlüpft einer der Buben. Das Stroh ist Sinnbild alles
Leblosen. Der „Butz“ steht für das Wertlose, er kann
aber auch Verkleidung bedeuten.
„Den Butz kann nicht jeder tragen“, verrät Ortsvorsteher
Hugo Dörr (66), „dazu hat nämlich nicht jeder Bub
die Courage, weil man schwitzt und nix sieht.“ Das Strohgeflecht
wird am Jagstufer angezündet. Vor vielen Jahren, erzählen
die Dorfältesten, sei das Streichholz schon hingehalten worden,
ehe der Träger herausgeschlüpft war: Mit einem Sprung in
den Fluss habe er sich gerettet.
Auch in Zunzingen am Kaiserstuhl und
anderswo werden an Lätare Strohgestalten umhergeführt.
Allerdings werden sie dort nicht verbrannt.
Foto: Alois Krafczyk |
Die Strohgestalt wird seit Ende des Zweiten Weltkriegs mit Rosen
aus Papier geschmückt. Die Mädchen aus Ailringen basteln
die „Roscha“, schlauerweise mehr als für den Butz
benötigt werden. Den Überschuss verkaufen sie an die Zaungäste
des traditionsreichen Umzugs, Stückpreis eine Mark. Ursprünglich
gaben die Rekruten ihre Musterungssträuße für die
Butz-Zier.
Die lebende Strohpuppe wird von zwei Helfern durch das Hohenloher
Dorf geführt. Vor jedem Haus hält der Tross: „Aar
raus, der Butz is haus“, betteln sie seit alters her um Eier.
Sie bekommen nicht nur die erwünschten „Gaggelich“,
wie die Hohenloher sagen, sie kriegen seit einigen Jahren auch zunehmend
Geld. Der Butz, der wie ein Tanzbär dirigiert wird, bedankt
sich steif aber artig: drei Schritte vor, zwei zur Seite, Verbeugung.
Gut 200 Eier und ein paar hundert Mark kämen so zusammen, weiß
Hugo Dörr, der vor über 50 Jahren selber als Eiersammler
mitmarschierte. Die „Aar“ werden verkauft, mit dem Erlös
wird ein Fest finanziert. Früher wurde ein riesiges Omelett
gebacken.
Die Dorfjugend muss nicht extra angespornt werden, die jahrhundertealte
Tradition fortzusetzen. „Das machen die ganz von allein“,
freut sich der Ortsvorsteher. Seit Ailringen nach Mulfingen eingemeindet
sei, glaubt Dörr, spielten die Bräuche aus der Zeit der
Selbständigkeit wieder eine viel größere Rolle.
Außer in Ailringen wird der Brauch nur noch in Zaisenhausen,
einem anderen Teilort von Mulfingen, gepflegt. Früher liefen
Butzen auch durch Seidelklingen, Hohenrot, Mulfingen, Buchenbach,
Eberbach, Staigerbach, Ettenhausen, alles Orte, die an der mittleren
Jagst (unweit von Langenburg) liegen. Der Ursprung ist nicht mehr
festzustellen, allenthalben heißt es, der Butz gehe „seit
Menschengedenken“ um.
Strohkreuz warnt vor Pest
In Gamburg an der Tauber dagegen steht der historische Beginn des
Umzugs an Lätare, dem vierten Fastensonntag, exakt fest: 1633.
Damals wütete die Pest, fast in jeder Familie forderte der
„schwarze Tod“ seinen Tribut. An der Haustür warnte
ein Kreuz aus Stroh vor der Ansteckungsgefahr. Die Kreuze wurden
später auf den Scheiterhaufen geworfen, auf dem auch die Toten
verbrannt wurden.
Im nächsten Jahr, als die Seuche besiegt war, erinnerten sich
die Gamburger an die reinigende Kraft des Feuers. Fortan wollten
sie alle Jahre wieder an Lätare das Elend symbolisch verbrennen,
wollten damit den Schrecken des Winters besiegen. Strohkreuze wurden
durchs Dorf getragen und zusammen mit dem gleichfalls aus Stroh
geflochtenen „Pumpermännle“, Sinnbild des Winters,
ein heißes Ende bereitet.
1982 organisierte der Heimat- und Faschingsverein eine Renaissance
des alten Brauchs, der im Lauf der Jahrhunderte vergessen wurde.
Die Kinder von Gamburg sind wieder mit Feuereifer bei der Sache,
zumal sie mit süßer Beute rechnen können. Aus den
Fenstern fliegen Bonbons, an den Haustüren sammeln die kleinen
Gamburger Schleckereien ein.
„Trache mer de Tode naus, naus zum alten Mullershaus“,
singen sie, „Hutzel, Hutzel ouwe rei, Hutzel, Hutzel ouwe
rei.“ Wenn das Feuer lodert, treten sie den Rückzug an:
„Trache mer de Summer rei.“
Aus: Südwestpresse vom 20.03.1998
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