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haspel-press, Tübingen
Heut ist der schöne Lichtmesstag
Der 2. Februar steht heute eher unauffällig im Kalender. Allenfalls im katholischen Kirchenjahr spielt er noch eine gewisse Rolle, weil an "Mariä Lichtmeß" die Kerzen für den kirchlichen Gebrauch im kommenden Jahr geweiht werden. Doch bis zum Ersten Weltkrieg hatte dieses Datum eine große Bedeutung in der Landwirtschaft: Es war der Beginn eines neuen Arbeitsjahres. Mancher Bauer verlor sein Gesinde, manche Magd und mancher Knecht standen ohne Arbeit und Wohnung da.
In einem Volkslied aus dem 19. Jahrhundert werden jedoch die angenehmen Seiten des Tages herausgestellt: "Heut ist der schöne Lichtmeßtag / da bin ich munter und frisch ! da pack ich all' mein Kleider z'samm'n / und setz mich hinter'n Tisch. / Ei Bäuerin hol' den Beutel 'rein / ei Bauer, zahl mich aus! / Ich bin dir schon lang z'wider g'west, / jetzt komm d'r ich aus dem Haus!" Mariä Lichtmeß war der Tag der Abrechnung, im wörtlichen wie im übertragenen Sinne. Zu diesem Datum wechselten die LandarbeiterInnen ihren Arbeitsplatz, entledigten sich der alten Herrschaft und brachen zu neuen Ufern auf. Der Freiheit stand der Beginn neuer Abhängigkeit gegenüber.
Auf welchen Hof sie nach Lichtmeß gehen konnten, erfuhren Mägde und Knechte von ihren KollegInnen und Geschwistern in den Schlafräumen oder in Gastwirtschaften, die Treffpunkte der LandarbeiterInnen waren. "Wie isch's Fressa?" war eine der Fragen, mit denen bäuerliche Dienstboten etwas über die Zustände bei ihremkünftigen Arbeitgeber in Erfahrung zu bringen suchten. Gerade auf kleineren Höfen bekamen sie oft nicht genug zu essen, denn in Notzeiten wurden auch die Feldfrüchte verkauft, die für den Eigenbedarf bestimmt waren. Am Tisch herrschte klare Hierarchie. Wurden die Mahlzeiten in vielen Stuben auch aus einer Schüssel gelöffelt, so stand doch fest, dass die Herrschaft als erste zulangte und sich die LandarbeiterInnen mit dem Rest begnügen mussten.
Am wichtigsten für die Auswahl des neuen Arbeitsplatzes zu Lichtmeß war jedoch zweifellos der Lohn. Neben dem zumeist mageren Entgelt wurden im Jahresablauf oft noch Schuhe und ein paar Kleidungsstücke vertraglich "eingedingt", MelkerInnen bekamen einen Anteil von jedem verkauften Kalb. Verpflegung und Unterkunft waren frei.
Übernachtet haben die LandarbeiterInnen meistens auf Strohsäcken, mehrere in einem Raum - Frauen und Männer streng getrennt. Flöhe waren nichts außergewöhnliches: "Man hat ja so gut geschlafen, dass man's nicht gemerkt hat, wenn sie einen gefressen haben", erinnert sich ein ehemaliger Knecht. Der anstrengende Arbeitstag begann im Sommer schon um vier Uhr, winters gegen fünf Uhr. In der Erntezeit war man bis spät in die Nacht hinein beschäftigt, ansonsten war gegen zwanzig Uhr Feierabend.
Die LandarbeiterInnen informierten sich gegenseitig auch darüber, wie "der Herr" ihresgleichen zu behandeln pflegte. Von manchen Höfen ließ sich berichten, der Bauer drohe mitunter mit der Peitsche. Wenn sich Knechte um ihren Verdienst betrogen fühlten, konnte aber auch von ihnen Gewalt ausgehen. Beim Stellenwechsel erteilten die Bauern ihrem Gesinde Zeugnisse, in denen vor allem Ehrlichkeit, Fleiß und Treue benotet wurden. Manche Bauern stellten bei gleicher Arbeitsleistung schlechtere Zeugnisse aus als andere. Ein schlechtes Zeugnis konnte nach Lichtmeß dazu führen, dass ein Knecht oder eine Magd keine neue Anstellung mehr fanden.
Nachdem Bismarck die Sozialversicherung eingeführt hatte, gehörte etwa seit der Jahrhundertwende auch die "Quittungskarte" zu Lichtmeß. Hier wurde die Dienstzeit des Gesindes eingetragen. Nur so waren Unfallversicherung und Rente sichergestellt. Vor 1900, als es noch keine gesetzliche Altersversorgung gab, mußten die LandarbeiterInnen bis ins hohe Alter auf den landwirtschaftlichen Anwesen arbeiten und wohnen. Krankheit konnten sie sich nicht leisten, ärztliche Hilfe wurde nur selten in Anspruch genommen und Arbeitsunfälle meldete man in der Regel zu spät oder gar nicht. Wenn deshalb eines Tages die eigene Arbeitskraft nicht mehr ausreichte, um den Lebensunterhalt zu verdienen, blieb nicht selten nur noch der Selbstmord als Ausweg.
Der "schöne Lichtmeßtag", von dem das Volkslied berichtet, war also nicht nur Anlaß zur Freude. An diesem Tag - noch mitten im Winter - entschied sich das Schicksal der nächsten zwölf Monate. Je nach wirtschaftlicher Lage konnte es auch passieren, dass überhaupt keine neue Stelle zu finden war. Angesichts dieser Unsicherheit und der oft miserablen Arbeitsbedingungen war es für die Industrie ein Leichtes, immer mehr LandarbeiterInnen für ihre vergleichsweise gut bezahlten und immer noch sichereren Arbeitsplätze anzuwerben.
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